Die Transkription ist zusammenfassend und nicht wortgetreu.
00:00:00 Nicholas Busch (NB): Sie sagen auch, in der elisischen Politik ist es nie zu spät, doch stets zu früh. Das hat mir auch zu denken gegeben, angesichts der grossen Vorsicht heute zum Beispiel in der sozialdemokratischen Partei bei der Kopp-Affäre.
00:00:16 Friedrich Dürrenmatt (FD): Jaja. Es ist noch zu früh. Es kommt dann schon. Man beschliesst immer, was man am nächsten Parteikongress diskutieren will. Es wird immer zuerst gedacht, was eventuell das Problem ist. Genauso wie bei den Schweizer Fussballern: Stoppen, schauen, passen. Genauso.
00:50:00 NB: Und wenn man dann lange überlegt hat, hat man dann schon so lange überlegt, dass einem wieder Zweifel kommen, ob es eigentlich richtig ist, was man überlegt hat. Und dann passiert eigentlich nichts mehr.
00:01:05 FD: Das Spiel ist dann schon weiter.
00:01:09 KH: Was ich mich auch frage: Wie wird es denen gedankt, die so lange zögern und nicht das Richtige tun im richtigen Moment?
00:01:18 FD: Also ich glaube, das ist überall so: Die Parteien und die Bevölkerung klaffen immer mehr auseinander. Und dann ist die Gefahr, dass plötzlich neue Parteien kommen, wie jetzt in Deutschland.
00:01:47 NB: Die Oberausmister. Diejenigen, die sagen, sie werden jetzt dann ausmisten.
00:01:52 FD: Das kommt dann eben, nicht. Das Schlimme ist glaube ich, aber da ist man dann ganz im Problem des Menschen überhaupt, das Schlimme ist heute: Inwiefern hat man dann eben noch Zeit. Das kommt einfach dazu. Wir denken immer, man hat Zeit, man hat Zeit und dann hat man plötzlich nicht mehr Zeit. Aber das geht eben in den Menschen hinein. Der Mensch ist das einzige Tier, dem die Evolution davongelaufen ist. Der Mensch ist fertig seit mindestens 120'000 Jahren oder 200'000 Jahren, hat lange, lange dieses Hirn, die Bedingung, und dann ist es explodiert und das Hirn, der Geist hat plötzlich eine solche Evolution, aber der Leib nicht. Der Leib, Stammhirn, das hat eine ganz langsame Evolution, und wir laufen uns davon. Wir könnten uns eine tolle Welt einrichten, aber wir machen es nicht, weil wir mit der Evolution nicht nachkommen. Das ist politisch, aber das ist also ein schwieriges Kapitel. Das ist politisch natürlich auch so. Die Einsicht ist ja bei vielen da. Aber nicht bei der Masse und nicht in der Politik. Das Problem in der Politik ist, dass einzelne eine Einsicht haben, aber die haben nicht die Macht, das durchzusetzen, also machen sie es in Kleingebieten.
00:03:51 FD: Aber schauen Sie mal die Entwicklung in Amerika oder schauen Sie die Entwicklung in Russland. Der beste Kenner von Russland, den ich bis jetzt habe, Alexander Sinowjew, der sieht es ganz bitter. Der hat jetzt ein Buch geschrieben, wie heisst es...eine Mischung zwischen Diktatur und Perestroika (Die Diktatur der Logik: Über den gesunden Menschenverstand und die sowjetische Gesellschaft). Die Politik, die Erleuchtung. Es sind sehr viele heute, die spüren das. Heute ist wahrscheinlich die grösste, innerhalb der grössten denkerischen Revolution. Eine Revolution der Kenntnisse. Wenn ich denke, was man in der letzten Zeit entdeckt hat, ist es ja atemraubend, man kann kein wissenschaftliches Buch schreiben, es ist schon veraltet. Das kann man nachweisen. Die Änderung der Wissenschaft ist so schnell, also in der Interpretation der Astronomie oder Physik, Man kann kaum folgen. Das geht also wahnsinnig schnell. Das Gefühl des Menschen ist nicht mehr, dass er in einer gesicherten Welt lebt. Ich höre viel Radio, manchmal kommen da interessante Vorträge. Television, da ist das verblödet. Ich sage das immer, wir bauen eine Katastrophenwelt auf. Aber das Gefühl, wir leben in einer Katastrophenwelt, das ist verbreitet. Das sah man in Tschernobyl. Im Gegensatz zur Stimmung vor dem ersten Weltkrieg. Da war dieses Gefühl nicht. 1939 war eine politische Angst, aber heute ist eine ganz andere Angst plötzlich da. Plötzlich ist man misstrauisch gegenüber dem Klima. Ich sitze jetzt da ständig im Nebel. Heute fuhr ich mit dem Auto, in zehn Minuten, auf 1’200 Meter und bin zwei Stunden spazieren gegangen. Aber hier ist immer Nebel. Das habe ich gar nie erlebt, dass es um diese Zeit so lange Nebel gab. Man denkt heute also ganz anders darüber nach und ich glaube, das hängt auch zusammen mit dem Fall Kopp in der Weise, dass man plötzlich das Gefühl hat, es stimmt alles nicht mehr.
00:07:20 NB: Aber jetzt wie weiter? Ihr Augias versucht, seinen Sohn Phyleus zu überzeugen, dass er nicht in die Konfrontation soll mit dem Herkules und sagt: Schau, aus dem Mist ist Erde geworden.
00:07:36 FD: Er sagt das sei ein Privatgarten. Er sagt: Also hör mal, du kannst eigentlich nur...im Grunde ist es ein sehr bitteres Stück. Er sagt: Hör mal, du kannst nur deine Sache machen. Ich habe einen Fehler gemacht, sagte er, ich wollte dem helfen, es geht alles schief, es war eine Chance, aber vielleicht ist es ja gut. Aber das, was ich tun kann, ich habe wenigstens versucht, Erde zu machen. Aber er kann ihm das ja auch nicht klar machen.
00:08:16 NB: Dann sagt er noch etwas: Wage, als unzufriedener in diesem Land zu leben, der seine Unzufriedenheit weitergibt. Identifizieren Sie sich mit diesem Satz?
00:08:28 FD: Natürlich. Wenigstens bin ich kein gemütlicher Schweizer, da muss man doch stören.
00:08:40 NB: Der Phyleus, der junge, wählt dann den anderen Weg. Und geht zugrunde.
00:08:47 FD: Und macht natürlich den grössten Blödsinn. Er weckt dann die andere Seite des Herkules und ist natürlich nicht ungefährlich. Herkules war immer eine Lieblingsfigur von mir, weil er im Grund eine wahnsinnig tragische...und ich finde auch, die Ehe mit Deianeira war sehr schön und saublöd, ging die dann zugrunde. Diese Iole, der Herkules nachstreicht. Er ist ein armer Kerl. Er muss dann den Phyleus. Ich weiss nicht, im Drama...Es gibt dann auch das Hörspiel...
00:09:37 NB: Ich glaube, es war das Drama.
00:09:42 FD: Die Szene vom Hörspiel. Den Phyleus habe ich noch reingenommen, der Schweinehirt. Da gibt es im Hörspiel die grosse Szene, wo er den Phyleus anstellt und sagt, du hast einen wahnsinnigen Ruf als Frauenheld, kannst du nicht für mich den Herkules spielen ? Der spielt für ihn den Herkules. Er ist ein tragischer Held, der eigentlich... den könnte man auch gescheiter brauchen.
00:10:25 NB: Es hat also damals in der Schweiz keinen Skandal oder etwas Anderes gegeben, das Sie speziell in dem Stück verarbeitet haben?
00:10:32 FD: Die Schweiz ist nicht einmal skandalfähig. Meine Arbeit über die Schweiz heisst «Das gemästete Kreuz». Ich finde, die Schweiz hat auch das entsetzlichste Wappen. Grafisch ist das Schweizer Kreuz eine fürchterliche Sache. Jedes Kreuz ist doch wenigstens schmal. Wir haben ein gemästetes Kreuz. Wir haben uns mit unseren Idealen vollgemästet. Alles ist übertrieben. Und das peinliche in der Schweiz ist, dass wir immer unsere Ideale anwenden sollen und nicht wissen, wie. Jetzt kommen wir mit dem Begriff, das ist für mich der perfideste Begriff: die Wirtschaftsemigranten. Weil es uns gut geht, kommt man zu uns. Wenn man das ins Christentum übersetzen müsste, waren auch Christus, Maria und Josef solche Emigranten. Diese Frechheit von armen Menschen, die aus Wirtschaftsnotlage, heisst, die sind arm, zu uns kommen wollen.
00:12:10 Kathi Hahn-Lindenmaier(KHL): Geht die Schweiz noch durch ein Nadelöhr?
00:12:18 FD: Das gemästete Kreuz geht nicht durch ein Nadelöhr. Darum der Titel «Das gemästete Kreuz». Das ist für mich typisch. Das ist das Verständlichste. Wir sollten doch froh sein, in einer Welt zu leben, wo es noch solche Emigranten gibt. Wenn die Welt in Ordnung ist, und es gibt nur noch arme und reiche, dann dürfen wir sowieso keine...dann sind das nur noch...Und was heisst das? Die Kurden, oder erstens die, man kann überhaupt nicht, gibt’s das überhaupt, die kommen nun aus der puren Not heraus nach Europa. Das geht nun ganz Europa an. Es ist wirklich etwas Verrücktes. Aber natürlich, wie es die Wirtschaft langsam konstruiert? Ich nehme solche Bücher wie Der Weizenbaum, die Spitze des Eisbergs, der sagt, es gibt eine riesige Wirtschaftskrise durch den Computer. Es gibt eine Katastrophe. Weil der Computer ist eine Sache, die man in Wirklichkeit gar nicht braucht. Man braucht sie vielleicht ganz ernsthaft bei gewisse Überlegungen in der Astronomie, weil man z.B. Sternmodelle bauen kann. Aber das Schlimme am Computer ist, er verdummt die Menschen.
00:14:07 NB: Und muss er das?
00:14:10 FD: Gestern kam ein Mathematiker zu mir, ein Rumäne. Auch ein Problemrumäne, um Gottes willen. Was der mir erzählte. Ein Rumäne, der hier eine Dissertation schreibt über die Zahlentheorie, an der ETH. Und der hat gesagt, die meisten Menschen sitzen heute am Computer. Er muss nicht. Ich meine, jedes Ding kann gescheit angewendet werden. Aber jetzt diese Computer, die sitzen stundenlang vor Computerspielen und spielen Krieg.
00:14:54 NB: Das liegt aber, glaube ich, nicht am Computer, sondern an den gesellschaftlichen Umständen.
00:15:00 FD: Nein, nein. Es liegt nicht an den gesellschaftlichen Umständen. Es liegt an den Menschenumständen. Was ist der Mensch? Der Mensch ist ein spielender Mensch. Genau das gleiche kann man sagen...ich habe einen Freund, der hat einen Computer, seit langem, kauft er immer einen besseren. Er macht nichts, als dass er hin und wieder riesige Tabellen schickt...ich weiss nicht, was ich mit denen tun soll, als Klopapier sind sie nicht geeignet. Wissen Sie, was auf den Tabellen ist? Nichts als Primzahlen. Der macht nichts anderes, als Primzahlen errechnen. Da gibt es keine Regel. Der will einfach immer mehr Primzahlen.
00:15:59 KHL: Das ist jetzt schon eine grundsätzliche Frage: Wie weit kann man die Technologie dafür verantwortlich machen, wie sie verwendet wird, und wie weit kann man die Menschen dafür verantwortlich machen, wie sie die Technologie verwenden?
00:16:09 FD: Die Technologie ist natürlich eine Versuchung. Nehmen sie die Television. Natürlich brauche ich auch die Television. Ich muss ja auch Geld verdienen. Ja, ich schreibe nicht, aber jetzt habe ich, sagen wir mal, ich schaue mir alte Spiele an oder manchmal kommt ein alter Film, gut. Aber im grossen Ganzen ist das eine Versammlung von einem grauenhaften Blödsinn. Und der Mensch wird...Ich kann natürlich gut reden. Ich habe einen Beruf, der sehr grosse Konzentration braucht, und ich arbeite und kann gut reden. Für mich stört die Television nicht. Und ich sehe gern mal einen alten Film an oder etwas Gescheites. Ich esse immer zur gleichen Zeit, und dabei höre ich mir die Nachrichten und das an. Da bin ich froh um Radio. Und manchmal gibt es sehr interessante Dinge im Radio, die es im Fernsehen gar nicht geben kann, weil einer eine Stunde lang, wie gestern, über die Katastrophengesellschaft, einfach die ganzen neuen Probleme hat er untersucht, dass, wie man heute sagt, es braucht eine neue Soziologie.
00:17:56 NB: Aber man kann ja nicht die Bildröhre verantwortlich machen, für das, was durchkommt. Wir haben zum Beispiel jetzt die Situation einer massiven Kommerzialisierung im Radio- und Fernsehbereich. Wir empfinden das als absolute Bedrohung. Werden sich alternative Stimmen in Europa überhaupt noch hörbar machen können? Die Sache ist jetzt mit der Aufgabe des Staatsmonopols noch mehr bedroht, als es schon vorher war. Alle diese Kommerzsender im Rundfunkt- und Fernsehbereich, die haben ja nichts zu einer Verbreiterung des Angebots beizutragen.
00:18:38 FD: Aber es ist natürlich so. Sie müssen sich klar sein, was sind die Dinge? Jede Sache hat einen doppelten Aspekt, einen gefährlichen und einen natürlichen. Jeder Technik ist die Art der menschlichen Evolution in dem Sinne, zum Beispiel, nehmen Sie die Fotografie. Ohne Möglichkeit zu fotografieren gäbe es heute keine Astrophysik, gäbe es keine...Sie ist also ungeheuer wichtig. Das Auge, das entwickelt sich...Nehmen sie die Saurier, die entwickelten sich durch 120 Millionen Jahre, von Flugsaurier zu wahnsinnig schnellen Sauriern, zu Fischsaurier. Wir können dank unseren Prothesen Auto fahren, können uns schnell bewegen. Wir können fliegen, wir können wahnsinnig sehen, können das Sehen speichern mit Film und so. Das sind also alles im Grunde auch biologische … der Mensch ist das Prothesentier. Der Mensch entwickelt sich immer mehr mit Prothesen. Television, ist ein ganz tolles Ding, also unmittelbar sein kann. Jetzt wird der Mensch vor diese Möglichkeiten gestellt, die ungeheuer sind. Und die explodieren. Bald kommt das Telefon, wo Sie auch noch sehen. Es wird alles kommen. Die Frage ist nur: Ist der Mensch diesen technischen Möglichkeiten gewachsen?
00:20:43 NB: Ist es nicht auch noch eine andere Frage. Ich denke mir manchmal, wie froh wäre ich, wenn ich in einem Zeitalter leben könnte, wo es kein Telefon gegeben hat. Ich empfinde das Telefon als eine Qual. Auf der anderen Seite, wenn man ein Mensch ist in einer Gesellschaft und aktiv sein will, kann man ja das Telefon, nachdem es einmal da ist, nicht den anderen überlassen.
00:21:11 FD: Das ist gerade das, was ich sage. Inwieweit ist der Mensch dem Telefon gewachsen? Einige brauchen es dringend, das Telefon ist etwas nützliches. Früher hat man das ja auf andere Weise erfunden. Ich habe noch einen Götti gehabt. Ich habe noch irgendwo einen Orden der Ashanti, der war Missionar an der Goldküste und im Ashanti-Krieg hat er ein englisches Bataillon durch den Urwald geleitet, weil er das Trommeln der N*. Er konnte sehr viele N*-Sprachen und verstand auch das Trommeln. Der wusste immer, was konnte es sagen. Das N*-Telefon, das hört man sehr weit. Das ist ein Kommunikationsmittel, das Telefon.
00:22:14 NB: Da kommt mir wieder eine Assoziation: Die N*-Trommel, zu der hatte jeder Zugang. Und im Moment befinden wir uns in einer sehr gefährlichen Situation weltweit, dass ja der Zugang zu den Kommunikationsmitteln monopolisiert wird. Wir haben jetzt die konkrete Situation im Rundfunkbereich, wo ja seit Jahren auch wir uns dafür einsetzen, dass sogenannte unabhängige Radios entstehen.
00:22:41 FD: ich bleibe jetzt beim Telefon. Rundfunk ist wieder etwas anderes. Warum hat Hitler mit dem Rundfunk gewonnen? Sie können mit dem Rundfunk ungeheure Massen beeinflussen. Sie können ja dem Rundfunk nicht antworten, oder sie schreiben einen Brief, der ja viel später ankommt, aber nicht momentan. Nach meinem bösen Brief an den Bundesrat Koller sind immer Telefonanrufe gekommen, mitten in der Nacht, da fing es an zu schimpfen, da habe ich den Hörer einfach zur Seite gelegt, nicht aufgehängt, das wäre ja nicht freundlich gewesen, einfach aufhängen. Ich hörte also von weitem, wie es schimpfte, bis sie gemerkt haben, dass gar niemand zuhörte. Wenn sie so schimpfen will, soll sie, aber sie war dann am Schluss wütend. Telefon finde ich wichtig in dieser Welt. Es hat nur etwas zerstört, das Briefeschreiben. Aber das ist auch nicht schlimm. Der Goethe hat so viele Briefe geschrieben, die nur gesammelt wurden, weil er sie schrieb.
00:24:50 KHL: Eigentlich könnte ein technischer Fortschritt auch eine Demokratisierung bringen. Wenn sich alle davon bedienen könnten, wie vom Telefon, was ja in der Dritten Welt gar nicht gewährleistet ist. Telefon- oder auch Radio-Kommunikation, wenn das wirklich einen demokratischen Zugang hätte, da könnte diese Technologie ja auch etwas bringen.
00:25:14 FD: Ja natürlich. Es gibt ganz tolle Kommunikationsmittel. Ich kenne einen, der ist sogar mal Nationalrat geworden, der ist ein leidenschaftlicher Funker. Der hat Freunde in Australien und in Kanada und so, und die reden da miteinander, das gibt’s auch, das finde ich wieder toll. Das ist das Positive, aber jedes Ding hat seine negative Seite. Aber das Fernsehen ist natürlich eine Sache, dem ist der menschliche Geist, dass das nun intelligent sein soll, gar nicht gewachsen. Und die Frage, das ist eine rein metaphysische Sache, nützen eigentlich Reklamen? Wenn man an die Milliarden denkt, die für Reklame ausgegeben werden.
00:26:21 NB: Um auf die Frage zurückzukommen, auf die Konzentration in den Medien, und jetzt eben gerade im Rundfunk- und Fernsehbereich, der meines Erachtens besonders wichtig ist, weil es viel leichter zu empfangen ist als Geschriebenes, für viel breitere Schichten. Sehen Sie da nicht eine riesige Gefahr durch diese Konzentrationsbewegung. Nehmen wir Österreich, da sind jetzt die zwei grössten Tageszeitungen aufgekauft worden von einem deutschen Konzern.
00:26:53 FD: Das ist natürlich eine Riesengefahr. Das ist eine der riesenhaftesten Gefahren, wer...ich meine, schauen Sie mal, nehmen Sie nur das Gebiet der Kunst. Das ist dermassen der Mode unterworfen. Der Kunsthandel. Es geschieht doch alles durch die Medien. Es gibt immer weniger Punkte und die beherrschen den ganzen Medienbereich. Und das wird immer mehr ansteigen. Weil ein Programm zu senden, das braucht viel Geld. Die sind immer mehr von Geldgebern abhängig, und wer natürlich am meisten Geld hat, der kauft sich ein ganzes System. Und das ist auch politisch wahnsinnig gefährlich. Da fragen Sie plötzlich: Ja wer macht die Politik? Da ist es plötzlich ein grosser Seifenfabrikant.
00:28:09 NB: Genau diese Situation zeichnet sich jetzt zum Beispiel im Rundfunkbereich ab, wo zunehmend diese Privatsender zugelassen werden. Und umgekehrt versucht man aber, in den meisten Ländern, nichtkommerzielle Alternativsender zu unterbinden. Sie haben es ohnehin schwer, weil sie es finanziell schwieriger haben.
00:28:30 FD: Man sollte sämtliche Sender subventionieren, die keine Reklame senden. Das ist doch ganz klar. Aber schauen Sie unsere Kulturpolitik an. Da herrscht ebenfalls eine totale Ideenlosigkeit. Das grösste Beispiel jetzt in Deutschland. Die tollste Oper, die es heute gibt, ist in Essen. Aber sie hat kein Ensemble. Der Bau ist so teuer gewesen, aber ein Ensemble, das konnte man sich nicht mehr leisten. Warum es jetzt in Essen eine Riesenoper braucht, weiss kein Mensch mehr. Aber es war Kulturpolitik, eine bauen zu lassen. Zurück zum Radio. Die Sender, was senden sie denn? Interessant wäre, wenn der Staat das Radiowesen, wie das Bildungswesen, bedachen würde. Sagen würde, gut, man gibt dieser Gruppe oder dieser Gruppe die Möglichkeit, sich zu äussern. Zum Beispiel die Parteien. Die sollen einmal...wenn die Radio machen müssten, und jedes Mal mit Verbot von Sendungen sich anstrengen...aber es wird ja nicht mehr verlangt, dass man sich...sondern das soll dann die Privatindustrie. Die Privatindustrie ist dann verkauft und dann hat man genau das, was man heute bei der Television hat. Und das Interessante ist nämlich, man sieht das am Wasserstand. Immer, wenn Reklame kommt, steigt der Wasserverbrauch, weil alle sagen, ah jetzt kommt Reklame, jetzt kann ich auf WC. Das ist grotesk. Wenn die nämlich überlegen würden, dass sie die Pausen schaffen, wo die Leute aufs WC gehen können. Die einzige Pause im Fernsehen sind die Reklamen, und da läuft man raus. Das ist irrsinnig. Die Menschheit ist derartig grotesk geworden, dass man sich fragt, inwiefern ist sie irrational? Was die Wirtschaft ist, habe ich erst begriffen...eine meiner grössten Eindrücke von Wirtschaft ist das: Ich war in der Türkei. In diesem Antalya. Eine Hitze wie wahnsinnig, in einem Luxushotel. Ich wollte mich da erholen. Wir sind dann geflüchtet. Und im Radio, die Deutschen haben einen Auslandsender, im Fernsehen, und da kommen immer hauptsächlich Börsennachrichten. Aber wissen Sie, was ich nicht geglaubt habe, es kommen Börsennachrichten und dann kommt ein Börsenastrologe. Ein Astrologe, der den Anlegern sagt, was sie jetzt tun sollen. Also ganz verrückt. Wie irrational das ist!
00:32:15 NB: Wie das Ehepaar Reagan, das in Kalifornien eine Villa bezog, welche die Nummer 666 hatte. Das musste umgeändert werden in 668, weil Frau Reagan gesagt hat, das sei eine dämonische Zahl.
00:32:34 FD: Das ist die Zahl des Antichristen.
00:32:48 NB: Diese Leute regieren uns.
00:32:50 FD Na ja...Reagan war ja ein Künstler. Reagan hat alles abgelesen, da war alles voller Technik, er war ein gelernter Schauspieler. Der war irrsinnig...aber das wird immer mehr kommen. Also der Präsident muss sich darstellen können. Es wird nicht mehr lange gehen, da werden die Amerikaner bei Busch sicher schon wissen...Da ist Yves Montand, der plötzlich ganz nach rechts rutschte. Der hat einen Riesenerfolg in der welschen Television, der könnte sofort Präsident werden. Er verdient wahrscheinlich zu wenig.
00:33:47 KHL: Ich möchte ein anderes Thema noch anschneiden. Ich bin Österreicherin. Und da kriecht sich jetzt, im Schatten von Waldheim, so jemand hoch wie Jörg Haider. Bundesobmann der FPÖ, die sich sogenannt liberal nennt, die aber in Österreich nie etwas anderes war als ein Sammelbecken von alten Nazis. Und dieser Jörg Haider ist nicht von der alten Generation, sondern von der neuen. Der ist jetzt 39. Aber der vertritt also gerade in einem Bundesrat wie Kärnten, wo es eine slowenisch-sprachige Minderheit gibt, absolut deutschnationales Gedankengut. Und auf dieser Welle kann man in Kärnten Propaganda machen und Stimmen gewinnen, schwimmt der jetzt hoch und plant in Kärnten sozusagen die Machtübernahme. In Kärnten sind jetzt, genauso wie in Salzburg und Tirol, Landtagswahlen angesetzt, und der Haider strebt an, in Kärnten den Landeshauptmann zu stellen. Nun ist interessant, was Haider über die Schweiz sagt. Ich zitiere aus einem Artikel der Kärntner Nachrichten, einem FPÖ-Organ: «Auch die Schweiz hat rund um die Welt den Ruf erworben, ein Land für Asylanten zu sein, wo Milch und Honig fliesst, obwohl die Schweizer allmählich auch recht hart reagieren können. Jetzt schlägt eine Nationale Aktion Alarm, die mit fünf Abgeordneten im Bundesrat sitzt. Bundesrat ist ja lustig, ein ungebildeter Mensch, es ist ja der Nationalrat, der sich anschickt, die Asylproblematik aufzugreifen. Diesen meist jungen Abgeordneten wird natürlich von denen, die dieses Tohuwabohu zu verantworten haben, vorgeworfen, Fremdenhass zu schüren. Humanitätsduselei, das zeigt sich immer, führt zu Konflikten. Die Nationale Aktion für Volk und Heimat kann nur zunehmen.» Und sehr interessant finde ich, was er sagt zur Vergangenheitsbewältigung. Das ist ja ein Stichwort, das in Österreich gerade mit der Waldheim-Affäre hochgekommen ist. Da sagt er: «Ich glaube, wir haben die unselige NS-Vergangenheit bewältigt. Heute kann man durchaus wieder Jude sagen, ohne dass man gleich an ein Schimpfwort denkt. Heute ist aber auch Nationalsozialist kein Synonym für Verbrecher, es gab auch damals untadlige Männer, die von einer unseligen Politik vergewaltigt wurden, etwa ein Admiral Dönitz, ein Major Reder und ein Gauleiter Rainer.» Rainer war der Gauleiter von Kärnten.
00:36:57 FD: Schauen Sie, das ist natürlich...Österreich ist für mich...ich habe ja sehr viele Kontakte in Österreich. Ich habe in Österreich den Staatspreis bekommen und den Franz Grillparzer-Preis, aber ein Problem von Österreich ist natürlich ganz vertrackt, weil die Vergangenheit eigentlich zum Tabu erklärt worden ist. Die Österreicher sind befreit worden, sie sind vergewaltigt worden, sie waren nie Nazi, und sie waren natürlich doch Nazi. Man hat das Ganze gar nie durchdiskutiert. Es ist in Österreich gar nie zu einer grundsätzlichen Diskussion gekommen. Österreich ein zusammengekrachtes Gebilde, das einmal von Schweizern beherrscht wurde. Von unser grössten Auslandschweizerfamilie, den Habsburgern. Der grösste Auslandschweizerfriedhof ist die Kapuzinergruft in Wien. Die ganze Verbindung zum Feudalismus ist in Österreich gar nie richtig diskutiert worden. Was ist Österreich? Das ist künstlich geworden. Irgendwie war es wahrscheinlich der grösste Blödsinn, der geschehen ist, die Zerstörung von Österreich-Ungar. Irgendwie hätte man da vielleicht eine grosse demokratische Macht aufbauen können. Aber es ist alles missglückt. Und Österreich wurde ja immer gezwungen. Mal war es von den Ungarn überschwemmt, dann Friedrich III, der hatte zum Teil gar kein Land mehr. Der ist dann mit dem Ochsenkarren als Kaiser mit einem Kanzler durch Deutschland gezogen. Das fand ich ein tolles Symbol. Der Kaiser auf einem Ochsenkarren mit einem Kanzler als Staat. In Österreich hat sich eine ungeheuer angenehme Wurstigkeit installiert. Aber dazu gehört irgendwie das Chaos. Und das Völkergemisch, das gehört einfach dazu. Das Schlimmste was es gibt, ist ja...Deutschland ohne Juden. Sie waren ein gesellschaftlicher Sauerteig.
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