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FERL, 11.02.1989, Gespräch mit Friedrich Dürrenmatt (Teil 1/3)


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SignaturF 1063-035A
BestandF_1063 Nachlass Christoph Lindenmaier (1953-2009) [TON]
Bestandesbeschrieb

Christoph Lindenmaier (1953-2009) war ein Schweizer Radiopionier. Er hinterlässt wichtige Dokumente (Audios, Photos, schriftliche Unterlagen) zur Geschichte der schweizerischen und europäischen Community Medien. Der Bestand enthält Radiosendungen, Unikate (respektive Originalaufnahmen) und kommerzielle vertriebene Musikaufnahmen, die im Rahmen von Solidaritätskampagnen des Comité européen pour la défense des réfugiés et immigrés (C.E.D.R.I), der Fédération européenne des radios libres (FERL) und der Anti-Apartheid Kampagne von Radio LoRa frei zur Verfügung gestellt wurden. 2022 schenkte die Witwe Kathi-Hahn-Lindenmaier den Nachlass von Christoph Lindenmaier dem Schweizerischen Sozialarchiv. Im gleichen Jahr lancierte Hannes Lämmler, langjähriger Freund und Zeitzeuge, ein Memoriavprojekt für die Erhaltung und Erschliessung der Audios mit dem offiziellen Titel "Christoph Lindenmaier, Radio Pirat aus Leidenschaft: Alternative Medienprojekte und internationale Solidarität, Demokratie und Medien im Übergang von analog zu digital". Lämmler sorgte für die Erschliessung der Aufnahmen. Das Nachlassprojekt begleiteten ausserdem Thomas und Brigitte Busch-Windhab, Klaus Hinkeldein und Helmut Peissl.

Christoph Lindenmaier (1953-2009) war ein Schweizer Radiopionier. Er hinterlässt wichtige Dokumente (Audios, Photos, schriftliche Unterlagen) zur Geschichte der schweizerischen und europäischen Community Medien. Der Bestand enthält Radiosendungen,… — mehr...

Abstract035 A) Gespräch mit Friedrich Dürrenmatt, 11.02.1989, Teil 1. Christoph Lindenmaier war prägend aktiv im Rahmen der Europäischen Föderation Freier Radios FERL. Als Vorbereitung der ersten freien Radiosendung in Österreich besuchten Nicholas Busch und Kathi Hahn-Lindenmaier Friedrich Dürrenmatt. Aus zwei Fragen wurde ein mehrstündiges Gespräch.
Urheber
  1. Radio LoRa, Zürich
Schlagwörter
  1. internationale Politik (allgemein)
  2. internationale Beziehungen
  3. aussenpolitische Grundhaltung
  4. Neutralität
  1. soziale Fragen
  2. Wanderungsbewegungen
  3. Asylpolitik
  4. Flüchtling
Personen
  1. Dürrenmatt, Friedrich (1921-1990)
Objektträger
  1. Kompaktkassette
Detailinformation
Die Transkription ist zusammenfassend und nicht wortgetreu.

00:00:00 Friedrich Dürrenmatt (FD): Wir leben in der Schweiz auf einer wahnsinnig glücklichen Insel. Einen solchen Wohlstand wie heute wird die Schweiz nie mehr haben. Sie wird abgeben. Ich singe kein Loblied auf die Armut. Aber der Überfluss in der Schweiz ist absolut absurd. Wenn ich an meine Enkelin denke, wie wird sie dereinst leben, in einer Welt mit 10 Milliarden Menschen? 2020 wird es soweit sein, das hat man ausgerechnet. Wenn man die Bevölkerungszunahme nicht irgendwie stoppt. Aber wie wollen sie das stoppen, mit diesem Papst?

00:01:05 Nicholas Busch (NB): In der Schweiz ist mit dem Fall Kopp-Shakarchi-Bundesanwaltschaft immerhin ein neues Element aufgekommen: Man hat, vielleicht zum ersten Mal auf deutliche Art, gesehen, wie wirtschaftliche Kriminalität, also reines kriminelles Profitdenken, plötzlich übergreift in ein eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement. Man hat den Eindruck, dass die Bundesanwaltschaft zum ausführenden Organ der obersten politischen Maxime, nämlich des kurzfristigen und kurzsichtigen Geldgewinns, wird.

00:01:48 FD: Wer macht denn die Politik in der Schweiz? Die Partei der Frau Kopp denkt ja selber nur an Wirtschaft. Ich frage mich manchmal: Inwiefern gibt es die Schweiz noch? Vor hundertzwanzig Jahren kommt ein Herr Nestlé aus Frankfurt am Main in die Schweiz und macht eine kleine Confiserie auf. Heute ist das ein Multi. Gehört die Nestlé noch zur Schweiz oder ist sie ein eigenes Reich? Inwiefern gehört, wirtschaftlich gesehen, die Schweiz der Schweiz? Oder schauen Sie zum Beispiel Mercedes in Deutschland, die haben auch Fäden in die Schweiz. In der Wirtschaft entstehen immer mehr enorm verflochtene Riesengebilde. Oder nehmen Sie das Beispiel Türkei. Die Türkei ist durchsetzt von wirtschaftlichen Interessen, die nicht nur innerhalb, sondern auch ausserhalb des Landes bestehen.

00:03:35 NB: Zum Beispiel in der Schweiz. Sie gehört zu den grössten internationalen Auslandinvestoren der Türkei.

00:03:37 FD: Und das erste Interesse der Schweiz ist natürlich: Dort, wo ihr Geld hingeht, muss Ordnung sein. Also ist die Schweiz nicht an den Kurden interessiert, an Menschen also, die mit ihrem Leben in der Türkei nicht zufrieden sind. Warum? Weil sie gar keine Türken sind. Und der Islam, als der Islam ausgebrochen ist, war er natürlich toll, weil er international war. Beim Islam fragte man nie nach Rasse, man musste nur den Islam annehmen. Wenn man ihn nicht annahm und Heide war, wurde man getötet. Und wenn man Christ war oder Jude, war man nur ungläubig und musste Steuern zahlen. Jetzt kommen sie in dieses politisch noch gar nicht durchgeformte Gebiet, in diesen Nahen Osten. Das ist ein Völkergemisch. Es ist ja alles künstlich entstanden, einerseits waren es früher türkische Provinzen. Es ist im Grunde die gleiche Bevölkerung mit verschiedenen Religionen. Das fällt nun einfach der Wirtschaft zum Opfer. Die haben Öl. Die Türken nicht, aber die Saudis. Iran hat Öl, und da sehen Sie, man versucht, sofort mit denen ins Geschäft zu kommen. Kaum ist im Iran ein Riesenkrieg, und die können noch so viele hinrichten, man geht sofort hin. Warum? Geschäft.

00:06:15 NB: Nun sind in der ganzen Kopp-Affäre schon sehr merkwürdige Sachen aufgetaucht. Während Schweizer Beamtenhände den Stempel R (refoulé) auf die Pässe von Flüchtlingen drücken, die versuchen, ins gelobte Land hineinzugelangen, haben vielleicht dieselben Beamtenhände auf den Interpol-Steckbrief gegen einen international gesuchten und als gefährlich charakterisierten Drogenhändler, Yassir Mussululuh, der übrigens jahrelang in Zürich gelebt hat, den Stempel gedrückt: Nicht verhaften, Bundesamt für Polizeiwesen benachrichtigen. Wie kann man sich so etwas erklären?

00:07:03 FD: Sie wissen ja nicht, wie die Verbindungen sind. Wie sind die Verbindungen von Kopp zur Bundesanwaltschaft? Das ist ja die gleiche Clique. Das ist wie bei einem Geheimbund. Was sind für Interessen da? Das Wahnsinnige ist das Undurchsichtige. Und das Gute beim Fall Kopp ist, dass die Schweiz plötzlich das Gefühl hat, gar nicht mehr so intakt zu sein, wie man glaubt. Sondern sie ist vielmehr verflochten mit dem ganzen Geldstrom, der durch sie fliesst, irgendwo. Was ist das Bankgeheimnis? Das ist wie bei einem Rad, das muss geschmiert sein. Dort, wo es dreht, muss geschmiert werden. Ohne Bankgeheimnis wäre wahnsinnig viel nicht möglich in der Weltwirtschaft. Es ist grotesk. Ich glaube, auch für viele Amerikaner ist es wichtig, dass die Schweiz ein Bankgeheimnis hat.

00:08:19 NB: Nun beweist die Firma Shakarchi, wo Herr Kopp Vizepräsident war, dass sie offenbar, laut Aussagen eines Untersuchungsbeamten gegenüber Journalisten vom Sonntags-Blick, auch Gelder in der Iran-Contra-Affäre gewaschen hat. Da handelt es sich ja direkt um Geheimdienstgelder.

00:08:40 FD: Keine Ahnung, was die alles gewaschen haben.

00:08:42 NB: Das steht bereits in den Zeitungen.

00:08:49 FD: Es ist einfach alles möglich in der Schweiz, das ist das Verrückte. Sie können eigentlich gar nichts ausdenken, was nicht auch möglich ist. Das Verrückte ist, dass man immer glaubt, es sei nicht möglich. Und es ist eben heute wirklich alles möglich. Derartige Verflechtungen wie heute, das ist ja grotesk, nehmen sie die Beunruhigung wegen der Abrüstung. In Deutschland ist das ja grotesk. Einerseits lesen sie, die Soldaten glauben gar nicht mehr an Krieg und finden es blöd, Soldat zu sein. Andererseits sagt man, jetzt muss man aufrüsten, weil die Russen noch viel aufgerüsteter sind, das sind sie immer. Es ist eine ungeheure Beunruhigung in der Welt der Wirtschaft durch die Abrüstung, dass man abrüsten will. Denn Aufrüstung ist ein Geschäft, ein ideales Geschäft. Die Waffen veralten. Man muss immer neue Waffen erfinden. Wenn sie Häuser bauen, veralten die weniger. Aber Waffengeschäft ist eine Art. Mercedes schliesst sich zusammen in der Hoffnung, sie können diesen tollen Flieger bauen. Ja die sind ungeheuer beunruhigt, wenn sie plötzlich abrüsten, weil sie den Flieger nicht bauen können. Und dann Drogenhandel, das sind so viele wahnsinnige Geschäfte dahinter. Mich wundert, dass der Widerstand immer da ist, dass man die Drogen nicht einfach offiziell macht, wie den Alkohol. Ich bin dafür, dass man alles freigibt. Es ist gefährlich, saugefährlich, aber dann kann man eingreifen, es wird entkriminalisiert.

00:10:52 NB: Dann wird es aber wahrscheinlich auch finanziell nicht mehr so interessant.

00:10:57 FD: Natürlich, es ist solange finanziell interessant, wie es kriminalisiert ist. Das ist teuer, nicht wahr? Stellen Sie sich vor, was das für wirtschaftliche Einbussen und Zusammenkräche gäbe. Letzthin gab es eine Nachricht, wenn man in der Schweiz Mohn anpflanzen würde. Der schweizerische Mohn wäre ganz toll. Dann könnte man Mehrwert schaffen, könnte man die Wirtschaft wieder, ich weiss nicht. Das wäre nur billig. Ich meine, wahrscheinlich wäre es für die Bauern, die es machen, gar nicht viel weniger Einbussen, als mit all den Zwischengeschäften. Man kann sich nicht ausdenken, wer verdient das Geld da drin. Da sind doch nicht nur die Drogenhändler interessiert, aber auch die Leute, die das Geld reinwaschen. Es ist einfach eine Riesenindustrie.

00:12:20 NB: Sie haben vorhin gesagt, dass vielleicht durch diesen Kopp-Skandal, wo zum ersten Mal alles so offengelegen ist, in der Schweiz eine gewisse Bewusstseinsfindung entstanden ist. Ich habe manchmal meine Zweifel. Eigentlich wirft man dem Ehepaar Kopp ja nicht vor, was es getan hat, sondern im Grund wird ihm vielmehr vorgeworfen, dass er es offen getan hat. Sozusagen dieser Kopulations-Akt zwischen Wirtschaft und Politik, dass der bei offenem Fenster durchgeführt wurde.

00:12:56 FD: Einem Dieb, der heimlich stiehlt, kann man ja auch nichts nachweisen. Immer nur, wenn man es offen tut, ist es klar

00:13:13 NB: Was ich eigentlich damit meine, dass es wahrscheinlich ein offenes Geheimnis ist für sämtliche Träger unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, dass man schmutzige Geschäfte macht.

00:13:25 FD: Ich glaube, für die Kreise, die die Kopp feuerten, ist es reine Heuchelei. Die Sozis hatten vorher die Idee, eine Frau in den BR zu bringen. Die hat man verhindert. Sie wollten die Frau bringen. Nun war die unglückliche Seele unglücklicherweise mit dem Kopp verheiratet. Da wusste man alles über den, wäre ja komisch, wenn man nicht alles gewusst hätte, und er war eine sehr angeschlagene Persönlichkeit. Und man hat sie durchgedrückt. Dass es schlimm ging, das konnte man ja sowieso denken. Und als es dann schlimm ging, hat die Partei sie sofort fallengelassen. Ich weiss noch, ich las diesen Lobesartikel in der NZZ, wo die Kopp wahnsinnig gelobt wird. Dann kam eine Nachschrift, leider hat sie jetzt gerade telefoniert, auf der gleichen Seite hat man den vorherigen Artikel torpediert. Sie ist von der eigenen Partei sofort verraten worden. Die stand ja nicht dazu. Da soll man mir nicht erzählen, dass der Bundesrat das nicht gewusst habe.

00:15:17 NB: Das glaube ich auch nicht. Es ist ja immer diese moralische Komponente bei uns in der Schweiz, wie man solche Sachen beurteilt. Man wirft eigentlich den Kopps vor, dass sie das, was alles treiben, etwas zu arrogant, zu offen, zu unzwinglianisch tun.

00:15:35 FD: Der Bundesrat ist etwas Heiliges. Der Schweizer ist viel mehr Untertanenmensch, als man glaubt. Ich hatte gelesen, dass Bundesrat Koller Frisch und mich angegriffen habe, wir würden die Schweizer Armee untergraben. Dann habe ich im Blick geäussert, ich hätte gehört, dass es einen Bundesrat namens Keller gebe, von dem ich überhaupt nicht wusste, dass der existiert. Und der habe ich also saublödes... Ich gab eine sehr scharfe Antwort, ich sagte, ich sei der Meinung, die schweizerische Armee wäre nicht nötig, sei aber nicht gegen die Armee, sie sei für mich ein Stück Folklore. Aber das sie nicht nötig sei, sei meine politische Überzeugung. Ich achte jede andere Überzeugung, die sagt, die schweizerische Armee sei nötig. Ich kann ja nicht beweisen, dass sie nicht nötig ist. Das sind Glaubenssachen. Aber jetzt habe ich also nur geschrieben, ich hätte nicht gewusst, dass es diesen Bundesrat überhaupt gäbe. Haben Sie eine Ahnung, was ich für Briefe bekommen habe! Es hat ihn gegeben. Aber dass ich einem Bundesrat derartig schroff entgegnet habe, sei respektlos, ich sei also... und meistens waren es Frauen, nicht etwa Männer. Ein Bundesrat ist für die Schweizer ein erhabenes Wesen. Und da diese Walliser Gemeinde, was sie für einen Kult mit der Kopp treibt, ein Bundesrat ist nicht ein gewöhnlicher Mensch. Der Schweizer ist doch gewohnt an seinen Landvogt. Ich denke, zur Zeit von Lessing war Bern eine richtige Diktatur, der hat noch ein Stück angefangen, der Fall Henzi, in ganz Europa war Bern verschrien als eine Diktatur. Die Schweiz galt gar nicht als Demokratie, wie wir uns das einbilden. Und der Schweizer ist auch viel obrigkeitsgläubiger, als wir glauben. Der «Herr Grossrat», der «Herr Nationalrat».

00:18:33 NB: Jetzt ist dieser Kopp-Skandal plötzlich aufgetaucht und mir schien, dass der Schock in weiten Kreisen der Bevölkerung so gross war, dass eigentlich eine politische Auseinandersetzung mit dem Ergebnis des ganzen Skandals im Moment gar nicht stattfindet. Es kam eine Pressekampagne, ich würde es als Pressekampagne bezeichnen, in Gang, wo man das ganze sehr moralisierend betrachtet hat. Es gibt ja gerade in der Schweiz eine Art von Saubermännern und -frauen.

00:19:09 FD: Ich glaube, es ist nicht nur so. Es war die Zauberformel. Wer wählt den Bundesrat? Es ist schon so, dass gewisse Kreise einen Bundesrat durchdrücken können. Gewisse wirtschaftliche Kreise drücken ihren Bundesrat durch und natürlich nicht das Volk. Jetzt haben wir einen Stumpenfabrikanten. Und irgendwie ist das jetzt bewusst geworden. Also das Parlament... Wir haben ein Milizparlament, das sind ja hauptsächlich Verwaltungsräte, oder in Regierungen. Es gibt doch fast keine Freiberufliche...aber das ist auch gar nicht möglich mit der ganzen Arbeit, die die haben. Wahrscheinlich ist die ganze Regierungsform ebenso veraltet wie zum Beispiel die amerikanische in Amerika. Wie sieht eine heutige Demokratie aus? Da müsste man wieder ganz von vorne an zu denken beginnen. Was irgendwie bewusst geworden ist: Etwas stimmt in der Verfassung, etwas stimmt in der Volksvertretung natürlich nicht mehr

00:20:40 Kathi Hahn-Lindenmaier (KHL): Sie glauben also, dass das im Prinzip schon etwas die Obrigkeitsgläubigkeit der schweizerischen Zivilbevölkerung angekratzt hat?

00:20:37 FD: Ein Ideal ist angekratzt worden. Ein Glaube, der Bundesrat war etwas Mystisches, es ist ja auch so, die Sitzungen vom Bundesrat, der tritt ja immer als Kollektiv auf. Und wahrscheinlich ist offenbar geworden, dass da sehr grosse... Ich glaube, dass viel weniger Kollektivität... Man redet dem anderen nicht rein

00:21:04 NB: Aber ist jetzt nicht eine grosse Gefahr wegen dieser... Die Schweiz ist doch noch ein sehr zwinglianisch geprägtes Land, und es ist mir aufgefallen, wie jetzt plötzlich die Frau Kopp und der Herr Kopp, als Personen, zum Teil auch der Bundesanwalt Gerber, fast dämonisiert werden. In der Presse wurden sie fast als das Böse an sich beschrieben. Und mit Genuss lieferte man sich Beschreibungen angeblicher Sexpartys in der Villa Kopp. Es wurde von Lederhöschen und Ketten berichtet. Und dann war noch ein Mordfall im Spiel, wo angeblich der Bundesanwalt Gerber ein wichtiger Zeuge ist. Wo Akten verschwunden sind. Und das Ganze kriegt dann so Dimensionen, wo... Hier werden Leute also wirklich mit einer Pressekampagne dämonisiert und der eigentlichen politischen Diskussion wird ausgewichen und es entsteht der Eindruck, wenn wir den Herrn Gerber von der Bundesanwaltschaft durch einen sauberen Herrn Berger ersetzen, dann ist alles wieder in Ordnung. Und wenn die Geldwäscher-Ehefrau-Kopp durch einen Stumpenfabrikanten und Velofahrer ersetzt wird, dann ist alles in Ordnung. Da frage ich mich manchmal... und das habe ich übrigens im Buch wieder gelesen, in ihrer Komödie Herkules und der Stall des Augias. Das nimmt mich Wunder: In welchem Zusammenhang haben Sie dieses Buch geschrieben?

00:22:45 FD: Das habe ich geschrieben als eine Art schweizerisches Festspiel für die Landesausstellung. Aber wichtig glaube ich ist...Ich sehe die Dämonisierung gar nicht so. Ich glaube, die Schweiz ist kolossal Institution geworden. Wahnsinnig geregelt. Wie eine geölte Maschine. Und diese geölte Maschine, die Warnstimmen, alles Institutionelle in der Schweiz ist in Ordnung. Aber das wird von Menschen gemacht. Und irgendwie plötzlich kommen durch den Fall Kopp...Die Menschen, die das machen, sind ja nur Schemen. Wer kennt denn eigentlich die Beamten in Bern? Sagen wir mal, ich kenne einen hohen Beamten, der ist wahnsinnig gebildet, ist ein toller Mensch, war führend in der Wirtschaft. Der war nie im Bundesrat aber hat natürlich viel mehr getan als ein Bundesrat. Der war in der Verwaltung. Und dort ist wahrscheinlich die eigentliche Macht, in der Verwaltung, die bleibt. Die steigen ja auch hoch. Das Groteske sehen Sie natürlich in der Television, was da langsam für Menschen hinaufkommen, die vorher ganz unbedeutend waren. Es ist eine Riesenverwaltung, und diese Verwaltung hat zu funktionieren. Und plötzlich merkt man, dass diese Verwaltung ja sehr, sehr...Es ist wichtig, in welche Hände die fällt. Und das sind ja nicht die Kleinen. Aber wenn Sie sehen, was da plötzlich für Frauen eine Rolle spielen, plötzlich wird dem Menschen klar, dass die Verwaltung nicht eine Maschine, sondern von Menschen gemacht ist. Und wer macht die Politik? Wer befiehlt eigentlich in der Schweiz? Sie haben jetzt riesige Erfahrung mit Flüchtlingspolitik. Da geschehen Dinge, die rechtlich gar nicht möglich sind, aber sie geschehen in der Vergewaltigung...In der Verwaltung. In der Verwaltung, da ist das Recht zum grossen Teil ausgeschlossen.

00:25:35 NB: Das war jetzt ein lustiger Lapsus – die Vergewaltigung.

00:25:38 FD: Ja, es ist eine Vergewaltigung. Die Vergewaltigung des Rechts durch die Verwaltung geschieht immer. Es gibt zu wenig Rechtsanwälte, die sich bemühen und sagen...das ist zum Beispiel der Erfolg des «Beobachters». Wenn sich einer in der Schweiz bemüht, wie der Beobachter hin und wieder, hinter die Verwaltung zu schauen, was da für Vergewaltigung vorkommt. Das Recht ist wieder eine ganz anders abstrakte Sache. Im Fall Kopp ist für mich dieses das Wichtige. Plötzlich sind da Menschen, und diese Menschen haben ganz tolle, ganz andere Interessen. Und dann kommt man natürlich auch zur Frage: Was sind das für Menschen? Es ist ja natürlich schon so, die Frau Kopp ist eine Multimillionärin, schon ihr Vater hatte einen hohen Posten in der ganzen Verwaltung und im Bankwesen. Und jetzt der Kopp selber, mit dem zusammen...ja, was sind das für Menschen? Da kommt dann plötzlich das Staunen, dass es sowas gibt. Es gibt es vielmehr. Es ist auch lustig, wie denen ja absolut...die begreifen die Welt nicht mehr, die Kopps. Die haben gemacht, was immer ging.

00:27:32 NB: Und was die anderen in ihren Kreisen auch gemacht haben.

00:27:35 FD: Natürlich. Und plötzlich gibt es einen Skandal aus einer eigentlich läppischen Sache, aber natürlich, das ist...es hat vielmehr mit einer Komödie zu tun. Wenn Sie die Berichte von Meienberg, was der vorher schon schrieb über den Kopp, oder überhaupt, ich meine, so ist natürlich die Schweiz. Aber irgendwie muss etwas kommen, dass die Leute plötzlich...Es fällt ein Vorhang und man ist paff.

00:28:18 NB: Und jetzt, nachdem der Vorhang gefallen ist, muss man also schon sagen, die Schweiz erweist sich als eine Art Stundenhotel für die internationale Drogenmafia, Geheimdienstoperationen, Geldwäscher-Terrorristen, und zwar nicht irgendwelche Terrorristen, sondern rechtsextreme, faschistische Terrorristen, die da mehr oder weniger unbeschadet ein- und ausgehen. Und andererseits haben es Verfolgte von autoritären Regimes hier wahnsinnig schwer. Und da komme ich wiederum auf ihren Herkules und der Stall des Augias. Ich lasse sie jetzt nicht so schnell laufen...Es hat mich einfach erstaunt, wie vieles in diesem Stück auf die jetzige Situation anwendbar ist. Nämlich: Man stellt fest, man hat einen Misthaufen. So weit sind wir jetzt.

00:29:10 FD: Dann kommt das Parlament und will alles gut machen und es geschieht trotzdem nichts.

00:29:15 NB: Und was macht das Parlament in Herkules und der Stall des Augias? Da bildet das Parlament von Elis und bildet Kommissionen und Oberkommissionen und Zwischenkommissionen, die sich dann plötzlich fragen, ob es überhaupt sinnvoll ist, diesen Misthaufen abzutragen.

00:29:33 FD: Das geschieht genauso. Die Gewohnheit eines Volkes, ich habe jetzt gerade das Erlebnis, das erleben wir nicht nur in der Schweiz, das erleben wir in Russland. Kann man das ändern? Es hängt natürlich sehr viel mit dem Volkscharakter zusammen.

00:30:05 NB: Und wie ist dieser Volkscharakter? Ich habe auch einen anderen Satz zurückbehalten aus ihrer Komödie. Da gibt es einen Parlamentarier, ein Mitglied des Nationalrates von Elis, der zu bedenken gibt, dass, wenn man den Misthaufen abträgt, man vielleicht feststellen würde, dass unter diesem Misthaufen die heiligsten Güter, die dort vergraben sein sollen, gar nicht vorhanden sind.

00:30:34 FD: Natürlich. Die heiligsten Güter, das ist unsere Freiheit, das sind unsere Ideale. Nehmen Sie nur den ganzen Unsinn in der Landesverteidigung. Ich schreibe jetzt gerade «Abschied vom Theater» und da schreibe ich mal über den Patriotismus. Und da schreibe ich die Geschichte des FC Helvetia 1291. Weil, der Sinn des Fussballs besteht natürlich im Siegen. Und der Sieg macht Ruhm. Und jetzt plötzlich beschliesst dieser Fussballclub, dass er nicht mehr siegen, sondern neutral sein will. Er will also auch nicht mehr an der Weltmeisterschaft teilnehmen. Aber er will weiterhin ein berühmter Fussballclub sein. Solche Grotesken finden Sie in der Schweiz immer wieder. Sie haben die grosse Verwechslung von Freiheit, persönlicher Freiheit, und Unabhängigkeit. Freiheit ist eine Sache, ist ein innerer Wert. Frei sein heisst also etwas ganz anderes als die Unabhängigkeit des Staates. Und was heisst die Freiheit des Schweizers? Der Schweizer ist heute hauptsächlich ein Angestellter. Der ist gar nicht frei. Und der ist so gewohnt, in einem Angestelltenverhältnis zu leben. Der lebt nicht frei. Und darum kommt diese ungeheure Armeebegeisterung. Da ist man frei, das ist das Fundament, weil man nämlich selber nicht frei ist. Dann projiziert man es auf eine ideale Freiheit hinauf, nicht? Der Schweizer ist heute in einer Wirtschaft hineingebunden, und er hat Angst. Darum die Versicherungen und alle. Der Schweizer ist ein ungeheuer ängstlicher Mensch geworden.

00:33:15 NB: Ein weiterer Satz aus Herkules und der Stall des Augias: Die Elier fürchten sich vor dem, was sie wollen und vor dem, von dem sie denken, dass es das Richtige ist.

00:33:35 FD: Sie machen einfach einen Gedankenstopp. Wenn sie wirklich neutral sein wollten, dann wären sie kühn neutral. Nicht? Dann sagen wir also, gut, wir geben ein Beispiel und wir wehren uns nicht. In Diskussionen heisst es immer: Wenn wir uns nicht gewehrt hätten, wäre die Schweiz nicht mehr? Dann sage ich jeweils: Wie bitte? Gibt es Dänemark nicht mehr? Gibt es die Tschechoslowakei nicht mehr? Alle Völker tauchen unter, tauchen wieder auf, und die Schweiz hat keinen Begriff davon. Jetzt muss man mich da richtig verstehen: Es ist etwas Furchtbares, ständig davongekommen zu sein. Angst, etwas zu verlieren, die ganze Freiheit der Schweiz besteht nur darin, dass man Angst hat, den Wohlstand zu verlieren. Viel zu verlieren, was mit Freiheit gar nichts zu tun hat. Dass die Schweizer das irgendwie wissen, das liegt im Menschen drin. Sie predigen ja überall...nehmen sie die Freisinnige Partei. Die hat doch wirklich nur noch Geld im Kopf. Die kommt am meisten mit der Freiheit. Aber was ist für sie Freiheit? Das ist natürlich Freiheit im schlimmsten Sinn, das ist, mit dem Geld so...Geld waschen.

00:35:30 NB: Und alle, die bei diesen Praktiken stören, die Sand ins Getriebe bringen, die muss man ausschalten.

00:35:39 FD: Ja. Das sind die Feinde. Die Schweiz war der heisseste kalte Krieger. Das Groteske in der heutigen Weltlage besteht darin, dass die, die den heissen Krieg begonnen haben, die Deutschen und die Japaner, sind die Gewinner des Kalten Krieges. Und die den heissen Krieg gewonnen haben, die Amerikaner und die Russen, sind die Verlierer des Kalten Krieges. Der hat sie am meisten geschädigt. Und die Schweiz, die den heissen Krieg überhaupt nicht gemacht hat, die ist auch Gewinner. Die ist Gewinner vom heissen Krieg und vom Kalten Krieg, das ist grotesk.

00:36:47 KHL: Sie sprechen von der Freiheit einerseits, aber auch von der Unabhängigkeit. Was heisst schon Unabhängigkeit, wenn es der ganzen wirtschaftlichen Seite...

00:36:56 FD: Ja eben, nicht? Unabhängigkeit ist natürlich eine ungeheure Fiktion. Wo ist sie staatlich, institutionell. Aber das, was unten ist, diese Ströme, die sind natürlich heute international. Und die Abhängigkeit von der Börse, was das bedeutet... das ist ja verrückt.

00:37:20 NB: Aber eigentlich ist dieses Schweizer System schon ein sehr raffiniertes System. Man hat es ja fertiggebracht, ohne je einen Soldaten in eine Kolonie zu schicken, eine Kolonialmacht zu sein, oder jedenfalls am Gewinn aus der Kolonialpolitik sich massiv zu beteiligen. Man hat an den Weltkriegen nicht teilgenommen. Man hat immer Gewinne gemacht. Man war immer leicht angelehnt an die «richtige» Seite, also an die mächtige Seite. In Herkules und der Stall des Augias sagt Polybios einmal: Die Elier sind das durchtriebenste Volk, sie erledigen jeden. Haben Sie damals die Schweiz damit gemeint?

00:38:05 FD: Natürlich habe ich die Schweiz gemeint. Es geht dann natürlich am Schluss alles schief. Als Festspiel, wie ich es gemeint habe, wurde es in Lausanne schön aufgeführt. Zürich war da sehr komisch. Der....wollte mich mit dem Bühnenbild verblüffen. Aber der hat nie einen Misthaufen angeschaut. Und in Zürich war es ein furchtbarer Dreckhaufen. Die Misthaufen der Schweiz sind etwas ganz Kostbares. Die werden noch gezöpfelt und werden angeschnitten. In Lausanne war es also eine kubische Landschaft, richtig gezöpfelter Mist, da gingen darüber so Bretter, wenn man über sie geht, da wippen sie so, und ganz hinten war eine riesige Mistwand und da war ein Baum und ein Mistkarren und langsam, während der ganzen Aufführung, ist der Baum ganz langsam im Mist versunken. Da war auch der Garten von Augias, der war umstellt von Gartenzwergen, ganz bewusst, um das Mystische zu nehmen, was es eigentlich für eine Chance wäre für die Schweiz, wenn man den Mist in richtigen Humus verwandeln würde. Der Witz von diesem ganzen Stück, der Mist hat einen doppelten Sinn hat. Das ist ja das Tolle, der Doppelsinn. Und jedes poetische Gleichnis ist doppelsinnig. Aber für mich ist die Schweiz ein wahnsinnig...also was Sie da gesagt haben, das ist für mich das Problem.

00:40:30 FD: Soll ich jetzt als Schweizer sagen, wir hätten ehrlich Krieg führen wollen, da sage ich: Nein. Aber es ist nicht moralisch. Ich bin gegen die absolute Wertung der Schweiz als moralische Institution. Neutralität ist zynisch. Politik ist zynisch. Und wenn man das weiss, kann man natürlich eine viel moralischere Politik betreiben. Man könnte sehr zynisch sagen...Wir nehmen die Kurden auf und hart, wie bearbeiten wir die. Dass die Menschen sind, die dann, wenn sie in die Schweiz kommen, wenn sie schon fliehen müssen, zum Beispiel etwas in der Schweiz lernen. Sagen wir mal, wir sind das Land von Pestalozzi, wir könnten also das, doch unseren Ruhm...wenn ich denke, wir kennen doch Pestalozzi nicht, der ein Revolutionär war. Die einzigen, die Pestalozzi kennen, sind komischerweise die Japaner. Er ist für die Japaner ein ganz berühmter Philosoph. Wir haben nämlich keine Idee. Das spielt eine wahnsinnige Rolle. Um die zu uns zu nehmen, wir haben keine Idee. Wir haben Angst, die nehmen uns ich weiss nicht was. Wir sagen, gut, die sollen hier lernen. Warum nicht solche Dinge? Anstelle, die müssten, man kann Baracken bauen, wenn man die Menschen beschäftigt. Mit dem Kopf ist es viel leichter, als wenn man sie nicht beschäftigt. Das Furchtbare ist ja, wenn sie in ein Gefängnis kommen, wo sie da herumlungern. Man hat überhaupt keine Idee mehr in der Schweiz. Weil wir keine Ideen mehr haben. Unsere Ideen sind in den Banktresoren vergraben.

00:43:02 NB: Unser heiligstes Gut ist die Volkswirtschaft.

00:43:10 FD: Und die geht auch zum Teufel. Jetzt, glaube ich, wenn Longo maï, wenn Sie jetzt aufhören, zu produzieren, werden Sie noch bezahlt. Es ist ja grotesk.

00:43:35 Ende 034 A

ZitationsvorschlagTonaufnahme: Radio LoRa, Zürich/F 1063-035A
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