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Interview mit Roland Roost vom 08.11.2011 (Fredi Lerch), Teil 2/6; (weitere Unterlagen sind vorhanden: Inhaltsverzeichnis des Interviews [PDF] und Fotos der Interviewten - kontakt@sozialarchiv.ch) Das gesamte Interview ist im Lesesaal des Schweizerischen Sozialarchivs abrufbar.


Objekt nur auf Anfrage verfügbar
SignaturF 1021-908B_preview
BestandF_1021 Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen erzählen - UNIA Oral History Projekt [TON]
Bestandesbeschrieb

Die Gewerkschaft UNIA hat 2013 das Projekt "Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen erzählen" lanciert. Serie 1 (entstanden 2013) umfasst 16 Interviews, Serie 2 (entstanden 2015) umfasst 8 Interviews, Serie 3 (entstanden 2016/2017) umfasst 17 Interviews. Die ausführlichen Gespräche geben Auskunft über Herkunft, politische Sozialisierung und die praktische Gewerkschaftsarbeit. Ebenfalls diesem Bestand zugeordnet sind 6 Interviews, die Rita Schiavi 1982 und 1983 mit wichtigen Gewerkschaftsexponenten geführt hat, und das Interview, das Fredi Lerch 2011-2012 quasi als Pilot mit Roland Roost geführt hat. - Online sind aus vertraglichen Gründen nur kurze Ausschnitte zugänglich. Die Interviews können aber im Lesesaal des Schweizerischen Sozialarchivs konsultiert werden. Für publizistische Zwecke (Ausstrahlung - auch nur von Teilen des Gesprächs - in elektronischen Medien, Verbreitung von Tonträgern, Publikation von Transkriptionen etc.) ist die Einwilligung der interviewten Person einzuholen. Übersicht über die interviewten Personen: Serie 1 (16 Interviews): Yolanda Cadalbert, Henri Chanson, Heinz Dreyer, Rita Gassmann, Fernando Gianferrari; Marijan Gruden, Peter Küng, Dario Marioli, Peter Nabolz, Josiane Pasquier, Fritz Reimann, Roland Roost, Pierre Schmid , Vincenzo Sisto, Gilbert Tschumi , Max Zuberbühler. Serie 2 (9 Interviews): Christiane Brunner, Bruno Cannellotto, François Favre, Ruth Jäggi Ernst Jordi, Raffaelle Maffei, Martin Meyer, Hans Schäppi, Claude Vaucher. Serie 3 (17 Interviews): Renzo Ambrosetti, Peter Baumann, Manuel Beja, Franz Cahannes, Antonio de Bastiani, Daniel Heizmann, Francine Humbert-Droz, Bernd Körner, Fabienne Kühn, Beda Moor, Alfiero Nicolini, Vasco Pedrina, Andreas Rieger, Jacques Robert, Rita Schiavi, Fabio Tarchini, Vreny Vogt. Interviews von Rita Schiavi aus den 1980er Jahren (7 Interviews): Eduard Blank, Männi Gloor, Elsi Hasler, Walter Kobi, Elsi Hasler, Traugott Hasslauer, Ewald Käser. Interview von Fredi Lerch, 2011-2012 (1 Interview): Roland Roost.

Die Gewerkschaft UNIA hat 2013 das Projekt "Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen erzählen" lanciert. Serie 1 (entstanden 2013) umfasst 16 Interviews, Serie 2 (entstanden 2015) umfasst 8 Interviews, Serie 3 (entstanden 2016/2017) umfasst 17… — mehr...

Serientitel
  1. Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen erzählen - UNIA Oral History Projekt
Urheber
  1. Gewerkschaft UNIA
Copyright
Geopolitik
  1. Europa
  2. Schweiz
Periode
  1. Neuzeit
  2. 20. Jh.
Personen
  1. Roost, Roland (1931-2017)
Objektträger
  1. Tonaufnahme
  2. digitale Tonaufnahme
  3. MP3
Sprache
  1. schweizerdeutsch
DetailinformationGespräch II, Bahnhofbuffet Zürich, 8. 11. 2011

1. Zum Kanton Glarus: Industrialisierung, Fortschrittlichkeit, Landsgemeinde
[Ich lese Roland Roost zu Beginn ein Statement für die Sozialgeschichte des Kantons Glarus vor:]
«Seit alters her an das Mitbestimmen an der Landsgemeinde gewohnt, prägt die Glarner Arbeiterschaft zusammen mit sozial gesinnten Ärzten und Pfarrern die Sozialgesetzgebung im 19. und 20. Jahrhundert. So wird z. B. 1856 die Fabrikarbeit für unter 12-jährige verboten und 1864 das erste demokratisch durchgesetzte Fabrikgesetz erlassen…»
…das war das erste in der Schweiz, ja…
«…Es reduziert die tägliche Arbeitszeit auf zwölf Stunden (1872 auf elf Stunden), verbietet Nacht- und Kinderarbeit, schreibt Arbeitssicherheits- und Hygienemassnahmen vor und bringt einen bescheidenen Wöchnerinnenschutz. 1916 stimmt die Landsgemeinde der Schaffung einer kantonalen Alters- und Invalidenversicherung zu. Diese erste obligatorische Sozialversicherung findet mit der AHV erst 1948 eine Entsprechung auf Bundesebene. Ebenfalls ist es die Glarner Landsgemeinde, die 1925, als erstes seiner Art, das Gesetz über die Arbeitslosenversicherung erlässt. Der Fabrikarbeiterverein Schwanden gründet 1864 den ersten Konsumverein der Schweiz.» (www.gl.ch/xml_1/internet/de/application/d3/f6.cfm) Das tönt alles total fortschrittlich.
Das ist interessant, ja, wobei, was jetzt da fehlt, ist die Inkraftsetzung der offenbar 1916 beschlossenen kantonalen Alters- und Invalidenversicherung. Der Beschluss war früher, aber die Inkraftsetzung war erst ein Jahr nach dem Tod meines Vaters. Darum hat unsere Familie von dieser Versicherung nicht mehr profitiert.
Wenn Dein Vater 1934 gestorben ist, wäre das Gesetz demnach erst 1935 in Kraft gesetzt worden.
Ich glaube, das müsste man noch genau eruieren. Aber sonst hätten wir ja Geld bekommen. Aber wir konnten nicht mehr profitieren von diesem Gesetz.
Es ist demnach auch nicht rückwirkend angewendet worden.
Nein. – Man müsste einfach noch herausfinden, wann das Gesetz in Kraft gesetzt worden ist.
Wenn Du denkst, dass dieser Kanton derart früh derart soziale Sachen gemacht hat und heute ist er einer der konservativsten Kantone. Er ist überall dagegen. Das Fortschrittliche ist völlig verloren gegangen. Natürlich mit dem Verschwinden der grossen Fabrikarbeiterschaft. Damals hatte ja der Kanton Glarus viele Fabrikarbeiter, dazumal, in der Textilindustrie, in der Druckindustrie. Und heute ist das alles weg. Von dorther ist auch der Druck nicht mehr da.
Aber immerhin hat Glarus in letzter Zeit eine erstaunlich radikale Gemeindefusion durchgebracht.
Unglaublich, ja. Das hätte ich nie gedacht, dass sie aus den über zwanzig Gemeinden nur noch drei Gemeinden machen im Kanton.
Das hat ja auch etwas Fortschrittliches.
Schon. Wobei in der Durchführung natürlich auch problematisch, weil viel an Demokratie verloren geht. Die Gemeindedemokratien verschwinden nur zu einem rechten Teil in einer grossen Agglomeration. Ich habe das Gefühl, sie haben auch aus diesem Grund grosse Widerstände dagegen gehabt. Aber schliesslich ist es auch durchgegangen, weil die Gemeinden kein Geld mehr gehabt haben. So haben sie zugestimmt in der Hoffnung, dass es dann besser geht, dass die reicheren Gemeinden ihnen helfen, über die Runden zu kommen.
Wann ist die Industrie im Kanton Glarus eingebrochen?
Ich würde sagen… also meine Mutter hat noch in einer Stoffdruckerei gearbeitet. Ich denke, in den vierziger Jahren sind die Industrien langsam verschwunden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg?
Ja, würde ich auch sagen. Vielleicht zum Teil schon vor dem zweiten Weltkrieg.
Aber man kann sagen: Knapp hundert Jahre war Glarus ein fortschrittlicher Kanton.
Ja, das war schon so. Auf Unternehmerseite bedeutet waren die Streiff und Freuler und Jenny. Das waren die grossen Könige im Glarnerland. Alle drei Textil-Unternehmer.
Ich werde ja die Region, aus der Du kommst, schon ein bisschen beschreiben müssen. Und es mag ja auch sein, dass die Tatsache, das Deine Familie nicht auseinandergerissen worden ist, mit einer relativ fortschrittlichen Sozialpolitik des Kantons zu tun gehabt hat. Ich staune ja immer noch, dass offenbar nicht versucht worden ist, Deiner Mutter die Kinder wegzunehmen. Im Kanton Bern wärst Du und Deine Geschwister verdingt worden in dieser Situation.
Ja, dann wäre ich Verdingkind geworden. Und es stimmt, dass wir keinen Vormund aufoktroyiert bekommen haben. Wobei sich meine Mutter, glaub ich, einfach auch dagegen gewehrt hat. Ich weiss es nicht genau, aber ich vermute es. Meine Mutter hat sich einfach die Kompetenz nicht nehmen lassen, für ihre Kinder da zu sein.
Aber es ist schon so, wie Du am Anfang gesagt hast: das Demokratieverständnis, bei mir auch, ist natürlich mit der Landsgemeinde in Glarus gewachsen, als Kind schon.
Hast Du Landsgemeinden miterlebt?
Ja. Weißt du, es ist dort üblich… also, da ist der grosse Ring am Landsgemeindeplatz in Glarus und in der Mitte ist das Podium der Regierung, und die Kinder des Städtchens dürfen immer um dieses Podium sein. Als Kinder durften wir immer mitten in den Ring hineingehen und haben dann miterlebt, was da gelaufen ist. Das war gelebte Demokratie, wobei Demokratie ein Stück weit auch in Anführungszeichen, an einer Landsgemeinde. da gab es keine anonyme Stimmabgabe und der Chef schaute, was seine Arbeiter stimmten.
Je nachdem hast du dir geschadet, wenn du die Hand aufgestreckt hast.
Genau. – Aber wir sind viele Jahre als Kinder dabeigewesen, und für uns Kinder war das auch immer ein Fest.
Bist Du auch noch hingegangen, als du dann in Ennenda wohntest?
Nein, dann nicht mehr. Ich hätte schon gekonnt. Weil, die Landsgemeinde war ja ein kantonales Ereignis. Aber ich bin dann einfach nicht mehr hingegangen. Bis zur dritten Klasse war ich in Glarus und auch an der Landsgemeinde, danach war ich in Ennenda, da war es nicht mehr aktuell für mich.
Inhaltlich hast Du vom Alter her wohl noch nicht sehr viel mitbekommen.
Ja, aber irgendetwas bleibt dir trotzdem, auch für später. Du merkst: Demokratie – was ist das? Demokratie ist, wenn alle miteinander etwas beurteilen und sich allenfalls dagegen wehren können. Das ist noch ein interessanter Aspekt.
Weißt Du noch Episoden aus dem Landsgemeindering?
Nein, nein, da wüsste ich nichts mehr.
Gut, ich will diesen Aspekt des Kantons Glarus sicher erwähnen. Und Deine Interpretation der Fortschrittlichkeit dieses Kantons ist, dass es da Zusammenhänge zur Arbeiterschaft und zur frühen Industrialisierung gibt.
Eindeutig. – Wobei: Wenn man das Arbeitsgesetz dann analysiert: Elfstundentag an sechs Tagen in der Woche. da gab es ja noch keinen freien Samstag. Also Sechsundsechszigstunden-Woche. Das war immer noch gewaltig. Dazu: keine Ferien, keine Krankenkasse, all die Sachen, die heute Selbstverständlich sind, hat es ja damals noch nicht gegeben. Auch keine Mindestlöhne.
Aber trotzdem war das Gesetz gegenüber vorher ja wohl ein Fortschritt.
Klar, ganz sicher. Weil in den anderen Kantonen war noch gar nichts. Das war damals der reine Manchester-Kapitalismus.
Gäbe es wohl da noch Beschreibungen aus dem Glarnerland?
das wüsste ich nicht. Keine Ahnung. Wäre aber noch interessant. – Ich weiss nur, dass meine Mutter damals noch rund zehn Stunden hat arbeiten müssen und 50 Rappen pro Stunde verdient hat. Ein Fünfliber im Tag. Natürlich war das damals noch mehr gewesen als heute, aber trotzdem: das Geld hat hinten und vorn nicht gereicht.
Heute würde man Deiner Mutter eine Working-Poor nennen. Wenn man Vollzeit arbeiten geht und es nicht zum Leben reicht.
Ja. Und dann war es strenge Arbeit. Ich habe sie ja auch besucht in der Fabrik, ich glaube ich habe es dir schon einmal erklärt. Sie mussten mit grossen, schweren Stempeln Stoff drucken. Es gab ein Farbkissen, auf das man den Stempel stellte, dann hat man den Stempel auf den Stoff gestellt und mit einem Hammer draufgehauen, damit’s einen sauberen Abdruck gab Und dann immer so weiter.
Du hast gesagt, diese Stoffe seien nach Afrika exportiert worden?
Vor allem afrikanische Tücher hat man gemacht. Sehr farbenprächtig.
Man würde meinen, das seien Stoffe, die dort in traditionellem Handwerk selber gemacht worden seien.
Nein. auf jeden Fall war der Export solcher Tücher ein grosses Geschäft für die Schweiz.

2. Der Maurer- und Gipserstreik von 1963
(Ich lege den Blick-Artikel vom 10. 4. 1963 von Turi Honegger auf den Tisch)
Du wirst als Streikführer mit Bild gezeigt, darüber steht gross «Gipsermeister: ‘Kommunisten’» und zu Wort kommt ausschliesslich die Arbeitgeberseite.
(lacht über das Bild von sich). Das junge Bürschtli! (liest) Kommunisten! Ja. (verweist auf die beiden ebenfalls abgebildeten Vertreter der Arbeitgeberseite) Der da, Werner Leutenegger, der Gewerbesekretär, das war en ganz en böse Siech. Und daneben, das ist Gottfried Meier, Gipsermeister und Präsident des Gipsermeister-Verbands.
(Roland blättert meine Kopien weiter zum Blick vom 9.4.1963: «Zürcher Gipser streiken». Auf einem Bild sieht man einen Redner mit der Legende: «Richard Müller, der schon den Streik vor sieben Jahren mitmachte: ‘Man will uns das Fell über die Ohren ziehen.’»)
Das da ist Richi Müller. Er war mein Vorgänger als Präsident bei den Gipsern. Ein alter, harter Kommunist. Aber von ihm habe ich viel gelernt. Für ihn ist die Arbeiterbewegung wirklich etwas ganz wichtiges, und als seinen Nachfolger hat er mich auch gut eingeführt.
Bist du in diesem Moment der Präsident der Gipser-Gruppe gewesen und deshalb Streikpräsident geworden?
Ja. Genau.
Wie lange warst Du schon Präsident 1963?
Gruppenpräsident wurde ich 1956, also sieben Jahre zuvor wurde ich Präsident.
Aber wieso wird den Richard Müller noch 1963 derart prominent in der Zeitung gebracht?
Er war ja trotzdem noch aktiv, als Mitglied. Er war auch sehr aktiv an den Versammlungen, hat mitgeredet und sich gemeldet.
Ihr seid gut ausgekommen zusammen?
Ja, sehr. Obwohl er wie gesagt ein alter Kommunist gewesen ist. Aber im Vordergrund ist die Arbeiterbewegung gestanden, nicht die Politik. (Blättert die beiden Artikel noch einmal durch:) Es hat dann noch mehr Artikel gegeben im «Blick». – Ich erinnere mich, einmal ist während des Streiks ein Artikel gekommen mit dem Titel: «Roost ist sauer». Offenbar war irgendetwas krumm gelaufen.
Offenbar hast Du Dein Referat noch einmal durchgelesen?
Ja. Und da habe ich nun gesehen, dass es im Vergleich zudem, was ich Dir zum Ablauf des Streiks aus der Erinnerung aufgeschrieben habe , einige Änderungen gibt. Zum Beispiel, dass der freie Samstag schon ein paar Jahre zuvor eingeführt worden ist, und die Forderung nach dem 8-Stunden-Tag erst dann 1963, respektive 1962, gestellt worden ist. Und es gibt noch andere Punkte. Den Einigungsvorschlag habe ich im Referat natürlich viel genauer dargestellt.
Also ich kann davon ausgehen, dass das Referat präzis ist?
Ja, eindeutig.
Dann kann ich mich ja bei der Darstellung ja auch stark auf das stützen.
Das kannst du schon. - Da ist bei mir einfach die Erinnerung nicht mehr gleich wie damals. nach fünfzig Jahren verschwimmt das ein bisschen (lacht).
Was ist denn Dein Eindruck, den Du gekriegt hast, wo Du Dein eigenes Referat wieder gelesen hast?
Ein guter, ein guter! Für mich war dieser Streik eine meiner schönsten Zeiten in meinem Leben, weil… erleben, erleben wie die Leute zusammenstehen, eine Streik beschliessen und dann fünfzehn Wochen durehebet, gegen alle Anfeindungen… Die Anfeindungen waren ja massiv, von der bürgerlichen Seite und vom Gewerbeverband, gesamtschweizerisch. Die Kollegen haben dem widerstanden. Natürlich immer auch unter dem… nicht Diktat, aber unter den Vorschlägen der Streikleitung. Wir haben das sehr gut im Griff gehabt. Wir hatten jeden Tag Sitzung, wir haben jede Woche Versammlungen durchgeführt, von den Streikenden sehr gut besuchte Versammlungen. Wir mussten die ganze Streikorganisation laufend im Auge behalten, weil wir minutiöse Bautenkontrollen machen mussten. Von überall sind Meldungen gekommen über Streikbrecher. Denen musste man nachgehen und diese Streikbrecher wieder aus den Bauten hinauswerfen. was sie in der Nacht produziert haben, hat man am nächsten Morgen wieder geschlissen. So Sachen.
Es ist also brachial zu und her gegangen?
Es war hart, ja, ganz hart.
Gab es auch Schlägereien?
Eigentlich wenig, eigentlich gar nicht. Einfach Wortgefechte. Aber massive Wortgefechte. Ein Beispiel: Wenn ich mitgegangen bin zu Bautenkontrollen, dann hat mich immer ein Kollege begleitet… so ein Prügel, fast ein Kopf grösser als ich [Roland Roost ist sicher 1 Meter 80 gross, fl.], der hatte immer ein Stück Dachlatte in der Hand und hat, wenn wir Streikbrecher getroffen haben, damit immer auf seinen Oberschenkel geklopft. Der musste nie etwas sagen. Ich habe geredet und er hat mit der Dachlatte aufs Bein geklopft (lacht).
Du bist also auch selber auf die Baustellen?
Ja ja, ich bin natürlich auch mit.
Aber sag, Du hast erwähnt, ihr hättet ein Streikkomitee gehabt. Du warst der Präsident. Aber wie viele Leute waren denn dabei?
Auf alle Fälle war das mal der Vorstand der Maler und Gipser. Und zusätzlich haben wir noch einige dazugenommen, die aktive Gewerkschafter gewesen sind.
Demnach vielleicht zehn, fünfzehn Leute?
Ja, ungefähr.
Und die haben alle Baustellenkontrollen gemacht?
Nicht nur die! Aber wir haben sie vor allem organisiert: Man hat die Leute zusammengerufen und gesagt: Morgen früh treffen wir uns. es müssen von den Streikenden so viele wie möglich kommen. Dann hat man Gruppen gemacht: Ihr geht in den Kreis 4! Ihr geht auf den Zollikerberg! Ihr geht nach Höngg! Und dann sind sie losgefahren, zum grossen Teil mit Privatautos, zum Teil mit dem Tram, und die haben die Bauten kontrolliert.
Streikbrecher hat es immer wieder gegeben. Zum Teil haben sie während der Nacht gearbeitet. Dann hat man die Streikbrecher direkt nicht angetroffen. Aber man hat gesehen, wo sie gearbeitet haben. Dann hat man die Arbeit zerstört. Zum Teil mit dem Hammer heruntergeschlagen oder einfach verkratzt. Oder, in einem anderen Fall, waren gegen fünfzig Gipssäcke aufgeschichtet. Dort hat man in einen der Säcke ein Loch gemacht und einen Wasserschlauch hineingesteckt. Danach war dieser Gips nicht mehr brauchbar. Oder: Im obersten Stock eines mehrstöckigen Baus waren Streikbrecher an der Arbeit. Nun haben die Gipser ja immer so eine Pfanne, in der sie den Gips anmachen. In diesem Fall haben unsere Leute die Pfanne genommen und aus dem Fenster geworfen, ohne das Fenster zu öffnen. So Sachen.
Ein ganz grosser Fall war am Zollikerberg. Dort oben hat eine Firma Camenzind in einer Überbauung die Gipserarbeiten gemacht und wir haben gehört, dass dort oben ein Haufen Streikbrecher an der Arbeit seien. Wir sind dann mit zwanzig, fünfundzwanzig Leuten dort hinauf gefahren und haben gesehen, dass die tatsächlich am Arbeiten sind. Als wir an die Bauten herangekommen sind, haben wir gesehen, wie sie hinten aus den Bauten in den Wald hinauf gerannt sind. Unsere Leute haben die ausgeführten Arbeiten sofort geschlissen.
Später hat es dann im Zusammenhang mit Camenzind noch einen Gerichtsfall gegeben. Und ich musste auch vor Gericht, weil ich dabei gewesen sei. Nun war Camenzind ein Bekannter von mir, weil ich zuvor schon früher für ihn gearbeitet hatte, in Basel unten. Darum hat er mich gekannt und gesagt, ich sei auch dabei gewesen und müsse vor Gericht auch drankommen. Ich habe vor Gericht dann gesagt, ich sei nur dort gewesen, um zu sagen: Macht keinen Unsinn! macht nichts kaputt! Und der Richter hat gesagt, es sei gut.
Du konntest Dich herausreden?
Ja.
Das wäre natürlich ein Politikum gewesen, wenn man den Streikpräsident kriminalisiert hätte.
Ja, auf alle Fälle.
Aber andere Kollegen sind vor Gericht drangekommen?
Nein. es hat keine Bestrafungen gegeben.
Obschon man ja klar Sachbeschädigungen begangen hat.
Ganz klar, ja. Aber es konnte niemand persönlich haftbar gemacht werden.
Seid ihr denn tags darauf wieder auf die Baustelle von Camenzind gegangen?
Die Kontrollen sind danach weiterhin durchgeführt worden. Man hat schon geschaut, ob weitergearbeitet wird. In der Regel haben sie dann aufgehört zu arbeiten. Die Streikbrecher unter den Gipsern waren sehr ängstlich. Gewöhnlich wollten sie nicht weiterarbeiten und sagten sich: Hände weg davon.
Was sind denn das für Leute gewesen, die sich dazu hergegeben haben?
Teilweise kamen sie aus Deutschland, teilweise aus umliegenden Kantonen.
Die hat man tatsächlich hergekarrt, das waren nicht Gipser vom Platz Zürich?
Nein. Zürcher gab es wenig, ganz wenig, die Streichbrecher gemacht haben. Einzelfälle.
Tatsächlich ist ja der Streikbeschluss mit 652 zu 21 Stimmen gefällt worden («Blick», 9.4.1963 + Leiser 1971, 7).
Viele von denen sind dann auch auswärts arbeiten gegangen, in andere Kantone. Obwohl es eine gesamtschweizerische schwarze Liste gegeben hat. Der Gipsermeister-Verband hat sofort eine schwarze Liste herausgegeben: Die hätten gar nicht angestellt werden dürfen. Aber die ausserkantonalen Gipsermeister haben die schwarze Liste nicht befolgt. Die Leute haben überall gearbeitet. Beim Abbruch des Streiks sind wir deshalb dann nur noch gegen 500 gewesen, die tatsächlich fertig gestreikt haben.
Das heisst: Gegen 300 haben zu diesem Zeitpunkt in anderen Kantonen gearbeitet?
Kann man sagen, ja.
Und von den Streikleitung her war das akzeptiert?
Das ist akzeptiert gewesen, ja. Das bedeutete ja auch eine Entlastung unserer Streikkasse. Insofern haben wir das gern gesehen: je mehr weggewesen sind, desto weniger Streikgelder mussten wir auszahlen.
Ich habe gelesen, der Streik habe ungefähr zwei Millionen Franken gekostet.
Das war damals viel Geld, ja.
Das musste die Gewerkschaft…?
Der Zentralverband, der nationale SBHV damals noch, musste das bezahlen. Wobei: es sind natürlich viel Spenden hereingekommen., aus der ganzen Schweiz. Alle Sektionen haben Geld geschickt.
Aber die Streikenden hatten nicht den vollen Lohn?
Nein. – Ich weiss nicht mehr genau, wie viel es gegeben hat. Vielleicht etwa die Hälfte des Lohns. Der Streik ist für einen Streikenden schon eine harte Entscheidung. Wenn jemand zum Beispiel noch Schulden gehabt hat…
So gesehen gab es ja sicher Härtefälle unter den Streikenden.
Die konnten natürlich an der Gewerkschaft schon Gesuche Stellen. es gab eine Einrichtung für Härtefälle, die geholfen hat. Die haben dann zusätzlich etwas bekommen, wenn sie ihre Schwierigkeiten haben nachweisen können.
Wenn ich auf den «Blick» vom 10. April 1963 zurückkomme. Das ist ja spektakulär, auch weil du mit dem Foto abgebildet bist. Aber er zeigt auch, wie man offenbar mit den Streikenden umgegangen ist. Hast du als damaliger Streikpräsident noch Erinnerungen an Erfahrungen, die Du mit Medien gemacht hast, wohl vor allem mit Zeitungen?
Man hat schon etwa mal dem Radio ein Interview geben müssen. Aber eigentlich wenig. Das meiste lief über die Zeitungen.
Haben denn die Journalisten überhaupt geredet mit den Streikenden?
Jaja, aber auch nicht oft. Nicht oft.
Sie haben sich vor allem an der Gegenseite orientiert.
Schon. Du darfst nicht vergessen: Der Schweizerische Gewerbeverband hatte natürlich ganz andere Möglichkeiten, auch organisatorisch, an die Presse und an die Medien zu gelangen als wir als kleine Gipsergruppe. Und der schweizerische Verband unserer Gewerkschaft, des SBHV, hat sich eher ein bisschen zurückgehalten. Sie haben sich nicht zu stark solidarisiert mit uns… also, sie haben sich schon solidarisiert mit der Zürcher Gipsergruppe, aber weniger gegenüber der Öffentlichkeit, für den Fall, dass der Streik in die Hosen gegangen wäre.
Die haben taktiert, dass sie nicht das Gesicht verloren hätten, wenn ihr dreingelaufen wärt?
Genau.
Und der Gewerkschaftsbund?
Der war eher skeptisch. Überhaupt die anderen Gewerkschaften, allgemein. Man hat viele Stimmen gehört: Die übertriibed wider, z’Züri.
Seit 1937 gibt es ja auch noch den Arbeitsfrieden in der Schweiz . Der SMUV hätte ja damals einen solchen Streik sicher nicht angerissen.
Das ist klar. Für die ist das unverständlich gewesen, dass man derart streiken kann.
Aber sie haben sich nicht öffentlich gegen euch gestellt? oder hat’s das auch gegeben?
Nein, eigentlich nicht. Vielleicht hat man einmal hinter vorgehaltener Hand etwas vernommen, was dieser oder jener gesagt habe im Sinn von: Die Zürcher Gipser, dazu will ich mich lieber nicht äussern… sehr zurückhaltend. Aber offiziell haben sie sich nicht gegen uns gestellt. Aber natürlich hat die Presse es aufgenommen, sobald sie so etwas gehört haben. dann hiess es sofort: Die Gipser stehen allein, die anderen helfen nicht mit, und so weiter.
Unter diesem Aspekt wäre es schon interessant, wenn ich einmal länger ins Sozialarchiv sitzen und die ganze Zeitungsausschnitte-Sammlung im GBI-Archiv durcharbeiten würde.
Ich wüsste nicht, was es dort noch alles gibt.
Ich würde vermutlich dann Details finden, Episoden von Tag zu Tag, die eben dann zum Teil sehr sprechend wären.
Es danach eigentlich nicht ein Aufschaffen gegeben des Streiks. Sonst hat man nach einem Streik in der Regel noch lange darüber gesprochen, Für und Gegen, warum und wieso. Aber vom Gipserstreik hast du im nachhinein eigentlich sehr wenig mitbekommen, dass diskutiert worden wäre: Warum und wieso ist es überhaupt so weit gekommen.
Sprichst du jetzt von der Öffentlichkeit oder von der Gewerkschaft?
In der Gewerkschaft hat man schon mehr darüber gesprochen. Gerade an den Bildungsveranstaltungen. Aber in der Öffentlichkeit hat man über diesen Streik wirklich wenig geredet. Dieser Vortrag, denn ich dann später gehalten habe, das ich eine Ausnahme gewesen.
(ich kehre wieder zum Blick-Artikel vom 10.4.1963 zurück, der auf dem Tisch liegt:) Erzähl mir ein bisschen über diese beiden Männer, die hier abgebildet sind. Das waren ja wohl deine Verhandlungsgegner.
Ja, eindeutig. – Gottfried Meier war Gipsermeister und der Präsident des Gipsermeister-Verbands. Er hatte hier in Zürich ein Gipsergeschäft. Und Werner Leutenegger war der Sekretär des Gewerbeverbands, möglicherweise war er auch Kantonsrat, das weiss ich nicht mehr . Das war ein scharfer Hund.
Ich habe gelesen, dass der Gewerbeverband extrem gegen die 40 Stundenwoche gewesen sei. War das auch deshalb, weil sie Angst hatten, die Forderung schlage auf andere Branchen durch?
Eindeutig, ja. Die Arbeitszeitverkürzung war ja immer ein Riesenproblem, beim dem die Ansichten der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer aufeinandergeprallt sind. Seinerzeit hatten wir einmal eine Initiative von Seiten des Landesrings für die 44-Stundenwoche [Roland sagt irrtümlicherweise «42 Stundenwoche»]. das Katastrophale war, dass der Gewerkschaftsbund bei dieser Abstimmung nicht zugunsten der Initiative mitgemacht hat. Weil sie vom Landesring gekommen ist . Die Abstimmung wäre zu gewinnen gewesen. Unverständlich. Aber eben: Beim Gewerkschaftsbund waren die sehr konservativen Ansichten gewesen, man müsse die Arbeitszeit nicht über das Gesetz regeln, man habe ja die Gesamtarbeitsverträge.
Aber ein Gesamtarbeitsvertrag ist ja die schwächere Lösung als das Gesetz, das Gesetz würde ja dann national gelten.
Ja, gut, aber ein Gesamtarbeitsvertrag kann weiter gehen als ein Gesetz.
Also müsste man 42-Stunden ins Gesetz schreiben und dann in den Branchen weiterverhandeln.
Jaja (lächelt). – Aber eben, damals [1958] war noch die 46 Stunden-Woche normal. Deshalb hat Dutti [= Gottlieb Duttweiler] eine Initiative gestartet. Und die ist bei der Bevölkerung gut angenommen worden, schon bei der Unterschriftensammlung. und die Gewerkschaften haben nicht mitgemacht. Das war für mich unerklärlich.
Überhaupt keine Gewerkschaft? Oder eure hat mitgemacht?
Das wüsste ich jetzt nicht mehr. Aber soviel ich weiss, hat der Gewerkschaftsbund die Devise herausgegeben: Da machen wir nicht mit. Damit ist der Mist geführt gewesen.
Zurück zum Streik: Erinnerst Du Dich noch an die Verhandlungen? Wie ist das jeweils zu und her gegangen?
Ich erinnere mich nur noch wenig. Klar, ich habe jede Verhandlung mitgemacht. Es war jedes Mal ein Schlagabtausch, sehr polemisch, und du musstest deine Standpunkte sehr vehement vertreten. und die Gegenseite tat es natürlich auch.
Aber waren die Differenzen denn eher von der Sache her begründet oder eher weltanschaulich?
Teilweise einfach sehr polemisch. Wir haben zum Beispiel untersucht, was die Gipsermeister privat verdient und wie sie ihr Geld angelegt haben, wie sie spekuliert haben mit dem Geld, Jachten gekauft auf dem Zürichsee.
Wie habt ihr denn das herausgefunden?
Das hat man irgendwie schon herausgefunden.
Durch einen Sozi in der Zürcher Steuerverwaltung?
Zum Beispiel auch, ja. Weil damals konnte man in der Steuerverwaltung noch nachschauen, was jemand versteuert von einem Jahr zum anderen. Und solche Sachen hast du dann ausgeschlachtet, was aber dann wieder viel böses Blut gegeben hat, logisch.
Klar, wenn so etwas belegt werden kann, stehst du als Arbeitgeber natürlich am Pranger. – Aber diesen beiden, dem Meier und dem Leutenegger, konntet ihr nicht speziell etwas nachweisen?
Nein. – Gut sie waren keine Heiligen. Aber konkrete Sachen haben wir nicht gefunden. – Jaja, eine harte Zeit ist das gewesen. Aber eben auch eine schöne Zeit. Dieser Streik war ein unglaubliches Erlebnis.
Wir schätzt du denn das Streikende ein? Wenn ich es richtig lese, war ja das Ergebnis durchzogen. Habt ihr den Streik als Erfolg gefeiert oder habt ihr gefunden, ihr hättet verloren?
Weder noch. Wir hatten wirklich den Eindruck, wir hätten nicht gewonnen, wir hätten nicht bekommen, was wir gewollt haben, aber wir sind stolz auf das, was wir gemacht haben. Dieser Streik ist eine Etappe gewesen in der Geschichte der Arbeiterbewegung, in der Geschichte der Arbeitszeitverkürzung. Man ist immer davon ausgegangen: Eine Forderung kannst du nicht auf einmal durchbringen. Das braucht verschiedene Anläufe. Dieser Streik ist wieder ein Anlauf gewesen für die Arbeitszeitverkürzung. Von daher waren wir stolz, wenn ich die Gipser erlebt habe, dann sind wirklich alle, die mitgemacht haben, stolz gewesen. Noch Jahre später, wenn wir uns getroffen haben, haben wir darüber geredet im Sinn von: Das sind noch Zeiten gewesen.
Unter dem Aspekt des Zusammenhaltens hat es die Leute ja sicher zusammengeschweisst.
Ja. Wobei, man muss sehen, der Zusammenhang ist nach einigen Jahren weitgehend verloren gegangen. Auch der organisationsgrad ist zurückgegangen. Das Gipsergewerbe hat sich allgemein reduziert, von der Verarbeitungsart her, von den Materialien her.
Es braucht weniger Arbeitskräfte?
Ja, und es war nicht mehr jene starke Gruppe, die sie früher mal gewesen ist. – Mit den Arbeitgebern ist man danach jahrelang gut z’Schlag gekommen. Die haben etwas gelernt im Streik. Es hat ihnen eindeutig Eindruck gemacht.
Die haben ja sicher auch Geld verloren.
Klar, ja. Wobei: es gab einzelne Gipsermeister, die haben vielleicht mehr verdient, als wenn sie gearbeitet hätten. Weil: Der Schweizerische Gewerbeverband hat den Zürcher Gipsermeistern schwer Geld geschickt, damit sie nicht nachgeben. Man hat zwar nicht genau gewusst wie und wie viel, aber über verschiedene Kanäle wusste man genügend, damit man das vermuten konnte. Das war ja legal. Das war eine Unterstützung, wie wenn wir vom Gewerkschaftsbund Geld bekommen hätten.
Es war ein Arbeitskampf, bei dem beide Parteien so gut es ging die rückwärtigen Räume mobilisiert haben.
Genau, ja. Ganz klar. – Was allerdings einmalig gewesen ist, das war, dass eine lokale Aktion gesamtschweizerisch Unterstützung gefunden hat auf der Arbeitgeberseite. Das hat’s zuvor nie gegeben, dass der Schweizerische Gewerbeverband derart mitkämpft, mitunterstützt, damit die Zürcher Gipsermeister nicht nachgeben. Sonst hätten wir mit denen Lösungen gefunden.
Das verweist darauf, dass offenbar vor allem der Gewerbeverband den Streik als gesamtschweizerisches Politikum, Präjudiz angeschaut.
Eindeutig, ja. – Stell dir vor, 40 Stunden-Woche, dazumal, vor bald fünfzig Jahren. Wir haben ja die 40 Stunden-Woche heute noch nicht. Gut, einzelne Branchen haben sie, aber der grosse Teil arbeitet heute noch in der Schweiz 42, 42 1/2 bis 44 Stunden. Auch auf dem Bau hat man heute die 42 1/2 Stunden-Woche. Die Arbeitszeitverkürzung war wirklich immer ein harter Punkt. Es ist halt so: Wenn der Arbeiter nicht arbeitet, verdient der Alte nichts, das ist ganz logisch (lacht). Nur mit arbeiten verdient man Geld. Ausser in jenen Branchen, in denen der Automat die Arbeit übernommen hat vom Büezer. Dort spielt die Arbeitszeit nicht mehr eine so grosse Rolle, weil der Automat rund um die Uhr laufen kann.
Wobei es noch dort Leute braucht zur Überwachung.
Aber das sind im Vergleich zu früher nur noch wenige.
In diesem Sinn hat euer Streik schon in einer späten Phase der Industriegesellschaft stattgefunden.
Wobei gerade das Baugewerbe auch heute noch jede Menge Handarbeit verlangt. Das war nie eine Branche, die sehr stark hat rationalisieren können. Im Bereich der Baus ist die einzige Rationalisierung, die stattgefunden hat der Einsatz von besseren Werkstoffen, grössere Bausteine, Gips, der nicht mehr so schnell zieht, den du länger verarbeiten kannst, Trockenbau mit Zwischenwänden in Vorfabrikation mit ???gips und so weiter. Da hat es Rationalisierungen gegeben. Aber es ist immer noch ein grosser Teil Handarbeit dahinter. Ob der Backstein 17 Kilo wiegt oder 5 1/2 Kilo ist ein Unterschied. Für den Arbeit sind 17 Kilo herumzutragen ein Chrampf. Aber er kommt natürlich dadurch doppelt oder dreimal so schnell vorwärts. Mit den grossen Backsteinen ist die Mauer schneller oben.
Verfolgst du den Gipserberuf heute noch?
Nicht stark. Gut, ich rede etwa mit den Leuten und sehe, wie sie arbeiten. Aber ich bin natürlich nicht mehr à jour.

3. Allgemeines, Aspekte, nach dem Streik von 1963
Sag, wie ist es denn mit dir persönlich weitergegangen nach dem Streik? beruflich sind wir eigentlich dort, dass Du mir erzählt hast, wie Du mit Robert Zimmermann in den Gipserberuf hineingekommen bist. Zuerst Handlanger, dann bist du in den beruf hineingekommen, gewerkschaftlich aktiv, Weiterbildungen hast du erwähnt… Warst du während des Streiks in der Maler- und Gipsergenossenschaft Zürich tätig?
Ja. – Und die Genossenschaft hat, obwohl sie Genossenschaft gewesen ist und ohne weiteres die 40 Stunden-Woche auch eingeführt hätte und einverstanden gewesen wäre, hat sie mitgestreikt. das heisst: Die Genossenschaft hat den Betrieb nicht aufrechterhalten in dieser Zeit. Sondern alle Leute haben mitgestreikt.
Während dem Streik wollten wir dann selber ein Gipsergeschäft aufmachen. Die Gipser- und Malergenossenschaft hätte den nötigen Hintergrund gebracht: Werkzeug, Materialien und so weiter. Aber das ist dann von der Versammlung abgelehnt worden. Man hat das nicht gewollt, man hat argumentiert: Die Gefahr, dass dadurch die Streikfront zerrissen werde, sei zu gross, wenn wir als Gewerkschaft auf eigene Rechnung beginnen würden, Gipserarbeiten zu machen.
Ihr hättet ja tatsächlich eine neue Firma aufmachen und die Betriebe der Gipsermeister konkurrenzieren können.
Genau das hätten wir gewollt. Aber wie gesagt: Das ist abgelehnt worden con der Versammlung.
Du wärst dafür gewesen, für den Vorschlag?
Ich wäre dafür gewesen, ja.
Vielleicht hätte man längerfristig die Gipsermeister aus dem Markt hinausdrücken können.
Das nicht gerade. Aber auf jeden Fall hätten wir den Streik verkürzen können. [Inwiefern? Ich habe vergessen, nachzufragen!]
(In Bezug auf das Roost-Referat «Der Gipserstreik 1963») Es gibt da zwei Punkte im Text, die ich nicht verstanden habe. Das musst Du mir erklären. Du schreibst mehrmals, man habe um eine «vertragliche» und um eine «generelle» Erhöhung verhandelt. Was ist denn der Unterschied?
Der «generelle» ist der wirkliche Tageslohn, den ich dir gebe, der «vertragliche» ist jener, der im Gesamtarbeitsvertrag aufgeführt ist.
Also zwischen dem vertraglichen und jenem, der tatsächlich ausbezahlt wird, gibt es eine Differenz.
Ja.
Das zweite betrifft folgende Passage: ««Obwohl der Vorschlag des Einigungsamtes einen für die Praxis unmöglichen Passus enthielt, nämlich den Indexausgleich auf 204 Indexpunkte festzusetzen, was eine Vorkonsumation der Teuerung von rund 20 Rappen ausgemacht hätte…» Das verstehe ich nicht.
Vermutlich war es so – ich weiss es jetzt auch nicht mehr genau –, dass der Index einiges tiefer gewesen ist [tatsächlich war er, wie zuvor gesagt wird im Referat, auf 197,8 Punkten, fl.] . Konkret heisst das für dich als Gewerkschafter, dass du vorkonsumierst, das heisst: Du kannst so lange keine Lohnforderungen mehr stellen, bis der Index die 204 Punkte erreicht hat. Und diese Vorkonsumation ist natürlich nicht beliebt bei der Gewerkschaft, ist ja klar. Von uns her versucht man immer, auf das aktuelle Datum abzustützen.
Der höhere Index wäre zum Nachteil des Arbeitsnehmers?
Kommt wieder drauf an. Kann unter Umständen auch ein Vorteil sein. Schliesst man auf 204 ab, kriegt er kurzfristig mehr Lohn, aber er muss länger warten, bis die 204 erreicht sind und wieder verhandelt werden kann. Es kommt also dann auf die wirtschaftliche Entwicklung an, ob es ein Vor- oder ein Nachteil ist. Wenn die Teuerung schwach ist, kann es zwei, drei Jahre gehen, bis die 204 erreicht sind.
Und in dieser Zeit kann man von der Gewerkschaftsseite her nichts mehr machen.
Ja, genau.
Man sieht daran: Wenn man solche Verhandlungen führt, braucht es auch ein technisches Wissen. Wo hast Du das gelernt, in Schulungen?
Im Lauf der Zeit. Vor dem Streik hatten wir ja praktisch eigentlich Jahr eine Vertragsbewegung gehabt und man war immer bei den Verhandlungen dabei. So lernst du laufend. Dazu kamen die Schulungen. In den Schulungen der Gewerkschaften werden natürlich solche Sachen intensiv bearbeitet. Dass der Arbeiter weiss, worum es geht. Wie ein Gesamtarbeitsvertrag aussieht, war die einzelnen Punkte bedeuten.
Und dazu hast du natürlich dann auch Unterstützung. Wir hatten ja immer auch Sekretäre der Gewerkschaft, die in der Regel solche Sachen immer noch besser gewusst haben als wir, die wir direkt aus dem Arbeitsleben gekommen sind. Sie hatten die Schulungen hinter sich und jahrelange Praxis als Sekretär in der Berufsgruppe. Von daher hattest Du viel Unterstützung von den Sekretären her.
Übrigens haben wir jetzt noch nie vom Sekretär während des Gipserstreiks geredet. Das war der Noldi Schwammberger, ein ausgezeichneter Sekretär, später früh gestorben. Er hat beim Streik schwer mitgeholfen.
Was hattet ihr für eine Arbeitsteilung?
Er war der Mann, der den Gesamtverband vertreten hat in der Gipser-Gruppe. Aber er musste auch die Gruppeninteressen wahrnehmen. Ich als Gruppenpräsident hatte dagegen nur die Gruppeninteressen im Vordergrund. Ich musste nicht auf den Gesamtverband schauen. Klar hat mich das auch interessiert, logisch. Aber das war nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe war die Gruppe.
Er war bei der Gewerkschaft angestellt und Du bei einem Arbeitgeber der Branche – eben der Genossenschaft?
Genau so war das.
Aber bei den Verhandlungen während des Streiks war er dabei?
Ja, immer.
Dann hattest Du da jeweils einen neben Dir, der viel technisches Know How gehabt hat.
Richtig. – Und er musste natürlich alles organisieren, für die Termine schauen und Argumente vorbereiten. Auch schriftliche Sachen.
Du hast gesagt, er sei danach früh gestorben – war er denn krank?
Ich weiss es nicht mehr… wann war die Landesausstellung, die Expo, 1964? Ungefähr zwei, drei Jahre danach ist er gestorben.
Noch nicht pensioniert?
Nein. – Er war ein ganz toller Mann. Für mich ist er fast ein bisschen Vaterersatz gewesen. Ein toller Gewerkschafter, hochintelligent. Er hat mich während meiner ganzen Zeit als Präsident intensiv begleitet. Ich erinnere mich noch, dass er mir vor wichtigen Versammlungen Tabletten gegeben hat, damit ich weniger nervös war.
Du hattest Mühe, vor Leuten zu reden?
Ich denke, das war ganz normal. Geh mal an eine Versammlung, an der drei-, vierhundert Leute sind. Und du musst etwas vertreten, was wichtig ist. Da bist du nervös, wenn das Reden noch ungewohnt ist. Später, als ich dann Zentralsekretär und dann Zentralpräsident gewesen bin, hatte ich diese Nervosität nicht mehr. Aber dazumal, als Gipser, war ich noch unerfahren.
Hast du denn mit Schwammberger auch politisiert?
Ja. Mich wollten sie ja immer in die PdA aufnehmen. Schwammberger war Sozialdemokrat und er war auch, der zu mir gesagt hat: «Mach das nöd, chumm zur SP, wenn du dich schon politisch engagieren willst.» Das war für mich schon auch wichtig.
Dann war das für dich auch ein grosser Verlust, dass er so schnell gestorben ist.
Ja, gut… Ganz sicher, klar. Aber man hat es akzeptieren müssen.
Der Schluss Deines Referats von 1971 – ich weiss nicht, ob du ihn noch im Kopf hast – bringt eine staatsmännische Ausgleichsformulierung: Man müsse mehr verhandeln und schauen, dass man z’Schlag komme. Dass es nicht wieder zum Streik kommen müsse, «liegt wahrscheinlich weitgehend in den Händen der Verantwortlichen bei der Wirtschaft und in den Gewerkschaften, indem sie vermehrt die Argumente der Gegenseite kennenlernen, tolerieren und eventuell akzeptieren.» Eine sehr ausgleichende Formulierung für einen Streikführer.
Das ist natürlich normal. Ohne Kompromiss und gegenseitiges Kennenlernen der Argumente und auch Verständnis-Aufbringen für die Argumente des Gegners gibt es keine Lösungen. Das ist klar. Vielleicht sind wir da von den Gipsern her damals fast ein bisschen zu stur gewesen…
1963?
Ja, und vorher schon. Dass wir zuvor den 8-Stunden-Tag preis gegeben haben, zugunsten der Lösung der Fünftage-Woche haben wir ja achteinhalb Stunden akzeptiert. Da hätte man in jener Verhandlung eine andere Lösung finden können, wenn man sich vielleicht etwas mehr damit auseinandergesetzt hätte, dass man zum Beispiel gesagt hätte: Wir haben nun vorderhand nur jeden zweiten Samstag frei. Dann wäre später eine Lösung vermutlich dann einfacher gewesen, dass man in einer späteren Phase gesagt hätten: Der freie Samstag ist derart schön, wir machen alle Samstage frei. Vielleicht hätte es mit diesem Verfahren eine Lösung gegeben. Aber eben: Zum nachhinein ist man immer ein bisschen gescheiter.
Man wäre demnach zu schnell vorwärts gegangen?
Möglich, ja. Es ist möglich, dass man zu viel aufs Mal gewollt hat. Es war natürlich ein Riesenerfolg, den freien Samstag in einem Rutsch zu nehmen. Der freie Samstag war damals noch nicht geläufig, die meisten Branchen haben ihn noch gar nicht gekannt. Im Baugewerbe sind wir auf alle Fälle weitaus die ersten gewesen.
Vielleicht hätte man 1963 vor dem Streik entweder die 8 Stunden fordern oder die anderen Forderungen, die Lohnerhöhungen und so weiter fordern sollen. Im ganzen war es ein zu grosses Päckli gewesen…
…oder eine Lösung finden im Sinn von: Statt zweieinhalb Stunden verkürzen, in einem Schritt vorerst nur ein ein Viertel Stunden. In zwei Etappen vorwärts gehen. Eine solche Lösung finden. Aber das hätte dann vorausgesetzt, dass man einen mehrjährigen Vertrag abgeschlossen hätte, der diese Stufen berücksichtigt hätte. Bis dahin hatten wir steht einjährige Verträge abgeschlossen gehabt.
Es war ja damals so, dass der GAV am 31. März 1963 ausgelaufen ist. Darum ging der Streik ja los. das heisst: Während der 15 Wochen Streik herrschte ein vertragsloser Zustand.
Genau.
Wann hat man denn wieder einen neuen Vertrag abgeschlossen?
Nach dem Streikende hat man dann wieder einen neuen Vertrag gemacht. Und von da an hat man dann zweijährige Verträge gemacht, teilweise sogar dreijährige. Das ist vielleicht auch ein Fehler in der Entwicklung der Aktivität der Leute: Wenn du jedes Jahr einen neuen Vertrag hast, dann sind die Leute gefordert, jedes Jahr Stellung zu nehmen, was jetzt im neuen Vertrag stehen soll. Wenn du Zwei- oder Dreijahresverträge hast, dann läuft das einfach und erst nach zwei oder drei Jahren beginnt man wider zu diskutieren. Das ist ein Nachteil für die Stärke der Bewegung, wenn man mehrjährige Verträge aushandelt.
Wobei ich später als Zentralsekretär auch noch zuständig gewesen bin für den Gesamtarbeitsvertrag des ganzen Baugewerbes. Dort habe ich dann auch mehrjährige Verträge abgeschlossen. Dort habe ich dann meiner eigenen Theorie auch nicht folgen können. Wenn natürlich in einem mehrjährigen Vertrag ein gutes Resultat auf dem Tisch liegt, dann sagst du: Ja, das nehmen wir. Aber dass dadurch Aktivität verloren geht, das ist dann eher im Hintergrund.
Nach dem Streikende im Sommer 1963 – bis Du zurück in die Maler- und Gipser-Genossenschaft?
Nach dem Streik schon, ja.
Irgendeinmal bist Du doch dann aber Gewerkschaftssekretär geworden.
Ja, aber das war erst 1969. Ich ging nach dem Streik also noch einmal für sechs Jahre zurück auf meinen Beruf.
Und danach immer bei der Genossenschaft?
Ja.
Du hast mir erzählt, du seist dort noch Stellvertretener Geschäftsleiter geworden. Wäre das dann so 1967/68?
Das ist so, ja.
Wieso hast du denn in diesem Moment den Beruf gewechselt?
Ich habe damals den Vorschlag der Gewerkschaft bekommen. Es war selten, dass einer direkt aus dem Beruf zum Zentralsekretär berufen worden ist. In der Regel wurde man zuvor Sekretär in der Gewerkschaft und hat irgendeine Sektion betreut oder eine andere Aufgabe gehabt. Aber direkt aus dem beruf zum Zentralsekretär, das hat es damals praktisch noch nicht gegeben.
Ein Riesenkompliment an Dich. – Wer hat Dir denn den Vorschlag gegeben?
Das war der Hans Lampart, mein Vorgänger als Zentralsekretär des Maler- und Gipsergewerbes.
Er hat quasi gesagt, er möchte Dich als seinen Nachfolger.
Ja. Wobei: Er war noch voll im Amt. Ich habe am Anfang als Zentralsekretär andere Aufgaben übernommen und der hat die Gipser gesamtschweizerisch betreut. Am Anfang meiner Zeit als Zentralsekretär betreut ich Marmor und Granit, die Steinhauer, dazu die Jugendbewegung in der Gewerkschaft und die Bildungsaufgaben.
Im Moment, wo Du dieses Referat gehalten hast über den Gipserstreik, warst Du demnach schon Zentralsekretär. Du hast da als allerletzten Satz gesagt: «Wenn uns das gelingt» – also den Ausgleich zu erreichen mit den Arbeitgebern –, «werden wir die im grossen und ganzen sicher bewährte Vertragspartnerschaft auch gegen die neue Strömung der linksradikal-intellektuellen Lehnstuhlrevolutionäre verteidigen können.» Das ist ja gegen die Jungen damals an den Unis gesagt.
ja. Dort gab es damals eine mehr oder weniger starke Gruppierung, die die Gewerkschaften ständig angegriffen haben, wir würden nichts mehr machen. Und vor allem waren sie vehement gegen das Friedensabkommen. ich bin zwar auch kein Freund gewesen des Friedensabkommens. aber die sind noch viel radikaler gewesen als ich.
Bis Du mit denen im Gespräch gewesen?
Ja… es hat immer etwa eine Gelegenheit gegeben, mit ihnen zu diskutieren.
Das waren zu jener Zeit die RML, die Revolutionär Marxistische Liga?
Genau, das war jene Richtung.
Aber unterdessen sind ja viele aus der ehemaligen RML in der Unia obendrin. Vasco Pedrina, Andy Rieger…
Es ist schon so, ja. Aber zum Beispiel ein Vasco war nie ein Scharfmacher. oder auch der Rieger, das war kein Scharfer. Da gab es andere, die dann später irgendwo wieder verschwunden sind. Und jene, die ein bisschen gemässigter gewesen sind, haben dann ihre Karriere gemacht in der Gewerkschaft. Vasco wurde ja dann mein Nachfolger als Präsident, 1991 noch in der GBH, ab 1993, dann in der GBI. Die Fusion zwischen GBH und GTCP zur GBI hatte ich noch eingeleitet. Zusammen mit dem Präsidenten der GTCP, [Hans Schäppi]. Und als GBI-Präsident hat Vasco dann begonnen, mit dem SMUV über eine Fusion zu verhandeln. Diese Verhandlungen haben dann jahrelang gedauert. Dass das dann überhaupt möglich geworden ist, war ein Wunder, weil SMUV und GBI, das war wie Feuer und Wasser, eigentlich undenkbar, dass die jemals zusammengehen würden.
Aber das hat ja eben eine lange Tradition, der SMUV, der den Arbeitsfrieden hochhält, und die Maler und Gipser, die 1963 streiken. Das waren schon lange zwei Traditionen. – Ich habe dann gelernt, die GBI sei vor allem auch deshalb radikaler, weil viele italienische und spanische Kommunisten dabei seien.
Nicht unbedingt Kommunisten. Sondern einfach Leute, die bereits in ihren Heimatländern in der Arbeiterbewegung verankert gewesen sind. Die haben diese Kultur zu uns in die Schweiz mitgebracht. Sie haben gewusst, dass es eine starke Gewerkschaft braucht, und sie haben mitgemacht. Weniger, dass sie politisch Kommunisten gewesen wären.
Wie war denn das beim Streik von 1963: Haben da ausländische Gipser und Maler auch schon eine Rolle gespielt?
Ja, schon, auch. Es gab viele Italiener, und auch Spanier. Vor allem Italiener, und auch die haben eben ihre gewerkschaftliche Tradition schon mitgebracht. Sie waren eine Verstärkung unserer Gewerkschaft. Das sind zum Teil Leute, die schon zwanzig, dreissig Jahre in der Schweiz gewesen sind.
Also nicht die Fremdarbeiter, die man gerade in jenen Jahren massenhaft geholt hat?
Doch, zum Teil schon auch. Aber die alten Italiener haben denen erklärt, was gilt bei uns und was man machen muss.
Unter diesem Aspekt ist Bindella als italienischer Gipsermeister in Zürich noch interessant: Wie hat sich der verhalten im Gipserstreik?
Nicht speziell. Wie alle anderen Gipsermeister. Man muss sagen: Bindella selber hat sich wenig um die Gipserei gekümmert. Das war sein Geschäftsführer, der die Gipserabteilung geleitet hat. Der hat eigentlich das Sagen gehabt dort. Seinen Namen weiss ich nicht mehr. Auch ein Italiener. […Unterbruch…]
Noch viel später, als ich Zentralsekretär und dann Zentralpräsident geworden bin, bin ich immer Streikpräsident der Gipser in Zürich geblieben.
Das hat man gewusst.
Das hat man gewusst, ja. Der Gipserstreik, der war einfach ein Merkpunkt, überall.
Für die quasi ein gewerkschaftlicher Karriereseigel, auf dem Du von da an gestanden bist.
Zum Beispiel, ja. – Wenn es keinen Streik gegeben hätte, hätte ich vielleicht anderweitig einen Weg gehabt, Karriere zu machen. Aber eigentlich habe ich ja gar nie eine Karriere im Auge gehabt. Meine ganze Karriere ist immer so gelaufen, dass man an mich gelangt ist: Du solltest dieses oder jenes machen. Wir möchten dich. Aber ich hatte nie im Auge, eine Karriere zu machen.
Du wärst auf dem Beruf geblieben?
Zum Beispiel. Vielleicht hätte ich sogar später einmal ein Gipsergeschäft als Geschäftsleiter übernommen.
Das hättest Du Dir vorstellen können?
Das hätte ich mir vorstellen können, ja. – Es war ja so, dass der Geschäftsführer der Gipser- und Malergenossenschaft gestorben ist. Vielleicht wäre ich dort Nachfolger geworden. Die Genossenschaft war immerhin eines der grösseren Gipsergeschäfte gewesen in Zürich.
Stattdessen hast Du den Beruf gewechselt und bist zur Gewerkschaft. Hast Du das jemals bereut?
Nein, nein! Die Gewerkschaft war für mich phantastisch. Ich erinnere mich, wie das angefangen hat: Ich war in Italien in den Ferien, in Jesolo bei Venedig, auf dem Zeltplatz. Gleichzeitig war auch Lampart dort in den Ferien, der GBH-Zentralsekretär, der das Gipsergewerbe unter sich hatte. Einmal haben wir uns unten am Meer getroffen und er hat zu mir gesagt: «Du ich mues dich mol öppis fröge. Hättest du Interesse, Zentralsekretär zu werden?» Ich war vor den Kopf geschlagen. Ich hatte nie einen Moment an so etwas gedacht. Und er sagte dann, man hätte gern, wenn ich mich interessieren und bewerben würde. Weil gleichzeitig war noch ein anderer, der sich beworben hat, ein Malerkollege aus der Gewerkschaft, er war Sekretär bei den Berner Kollegen. Wir mussten dann beide zuhanden des Zentralvorstandes ein Referat halten. Danach hat der Zentralvorstand ausgewählt, welchen sie haben wollten.
Worüber hast Du reden müssen?
Über die Entwicklung des Gipser- und Malergewerbes in der Zukunft. Ich habe mir natürlich schon Mühe gegeben, ist ja klar.
Das Referat hast Du nicht mehr?
Nein. Ich weiss nicht einmal mehr, ob ich es schriftlich gemacht habe… wahrscheinlich schon, aber ich weiss es nicht mehr. Ich bin dann gewählt worden. Das war für mich schon eine Riesensache. Zentralsekretär ist etwas, auch national.
Noch einmal zurück zu Streik: Nach Streikende, bist Du Präsident geblieben der Gipsergruppe?
Klar, ja.
Lampart hat Dich demnach als Präsident der Zürcher Gipsergruppe gefragt.
Ich bin nach dem Streik, glaub ich, sogar noch Sektionspräsident geworden. Die Gipser und die Maler sind ja in einer Sektion zusammen gewesen (schlägt im Lebenslauf, der vorliegt, nach) Aber geschrieben habe ich das nirgends.
Aber es wäre möglich?
Es wäre möglich, ja. – Eigentlich schon traurig, dass ich das nicht einmal mehr genau weiss.
Gab es damals eine Zeitung, die eure Aktivitäten auf dem Platz zurück dokumentiert hat?
Wir hatten einfach die gesamtschweizerische GBH-Zeitung, die Holzarbeiter Zeitung.
Aber dort hattet ihr auch Berichte drin?
Sicher auch, ja. Der Redaktor Arthur Strübeli [?] hat sich immer sehr interessiert um das, was bei den Gipsern gegangen ist.
Vielleicht sollte ich die entsprechenden Jahrgänge der Zeitung einmal durchblättern. Vielleicht fände ich da noch Verschiedenes.

(51900 Zeichen, 6.12.2011)

Ungeklärte Frage: Eigentlich ging es ja um einen Maler- und Gipserstreik. Wir haben aber ausschliesslich über die Gipser gesprochen. Welche Rolle spielten die Maler?





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