Signatur | F 1003-0004 |
Bestand | F_1003 Interviews mit homosexuellen Männern [TON] |
Bestandesbeschrieb | Die Interviews mit homosexuellen Männern, die Franco Battel realisierte, erweist sich als reichhaltige Quelle schwuler Alltagsgeschichte in der Schweiz. Die Männer – geboren in der Spanne zwischen den 1920er und 1940er Jahren – geben freimütig Auskunft über ihre Herkunft und ihre Beziehungen. Die Interviews orientieren sich an der Biografie der Männer und führen schlagartig vor Augen, welch gewaltige gesellschaftliche Veränderungen sich im letzten halben Jahrhundert ereignet haben. Beispielhaft dafür kann die Beziehungsanbahnung sein, die – wenn sie nicht in den spärlich vorhandenen, gegen die heterosexuelle Gesellschaft hermetisch abgeriegelten Treffpunkten stattfand – oft wesentlich komplexer ablief als heute, von der Gunst des Zufalls oder langen Durststrecken geprägt war. Angesprochen werden auch Themen wie Coming out, kulturelles und politisches Engagement, gesellschaftliche Diskriminierung und Repression oder AIDS. Die Interviews mit homosexuellen Männern, die Franco Battel realisierte, erweist sich als reichhaltige Quelle schwuler Alltagsgeschichte in der Schweiz. Die Männer – geboren in der Spanne zwischen den 1920er und 1940er Jahren – geben freimütig… — mehr... |
Abstract | Hans-Peter Bertschi wurde 1932 in Herzogenbuchsee geboren, seine Jugendzeit verbrachte er in Köniz. Seine Eltern waren sozial engagiert: Der Vater arbeitete bei der Vormundschaftsbehörde, die Mutter betätigte sich im privaten Bereich sozial. Mit ca. 11 Jahren musste Bertschi aufgrund einer Lungenerkrankung längere Zeit ins Spital Zweisimmen zur Kur. Dort hätten erste sexuelle Kontakte zu den anderen, meist älteren Jungen stattgefunden, er bezeichnet diese Kontakte als „Bubenspiele“. Die anderen Jungen hätten sich aber vorab für Mädchen interessiert, was er nicht nachvollziehen konnte. 1949 begann er die Lehre als Drogist, gleichzeitig war er in der Sonntagsschule als Lehrer tätig. Ihm war bereits zu dieser Zeit klar, dass er später bei den Methodisten Theologie studieren möchte. In seiner Lehrzeit freundete sich Hans-Peter mit Vreni an, er merkte aber, dass er sich eine intime Beziehung mit einer Frau überhaupt nicht vorstellen konnte. 1954 begann er das Theologiestudium. Im Internat lernte Hans-Peter einen anderen homosexuellen Studenten namens Otto kennen, mit dem er eine Freundschaft und auch sexuelle Kontakte pflegte. Die Beziehung fand im Geheimen statt. An einem Pfingsttreffen im Jahr 1956 begegnete Hans-Peter George, ihn bezeichnet er als seine „erste grosse Liebe“. Bertschi besprach seine Gefühle zu anderen Männern regelmässig mit Geistlichen, einer dieser Geistlichen gab ihm die Adresse von Theodor Bovet, einem Arzt, der sich unter anderem mit Homosexualität befasste. Bovet versorgte Hans-Peter mit Literatur zum Thema, er bestärkte ihn darin, seine Homosexualität zu leben. Allgemein machte Bertschi die Erfahrung, dass Geistliche, mit denen er über seine Neigung sprach, sich nicht negativ über die Homosexualität äusserten, so dass ihm Kirche und Homosexualität nicht als unvereinbar erschienen. Mit seinen Eltern sprach Hans-Peter jedoch nie über seine Homosexualität, er versuchte sie vor ihnen zu verheimlichen. 1965 schrieb ihm sein Vater einen Brief, in dem er die Vermutung äusserte, dass Hans-Peter homosexuell sei. Auch wenn er dies nicht verstehen könne, solle Hans-Peter seinen Weg gehen, wenn er davon überzeugt sei, dies sei das Richtige für ihn, schrieb der Vater. Durch seinen Studienkollegen Otto kam Bertschi mit dem homosexuellen katholischen Geistlichen Josef Kunstmann in Kontakt. Mit diesem begann Hans-Peter erst eine Brieffreundschaft, der bayrische Monsignore sandte ihm Gedichte und eigene homoerotische Zeichnungen. In Neapel, wo der Geistliche die dortige deutsche Gemeinde betreute, kam es zum ersten Treffen. Kunstmann war in den 1950er Jahren von Augsburg nach Italien versetzt worden, da seine Homosexualität in Deutschland allgemein bekannt war, und der neu eingesetzte Bischof in Augsburg dies - im Gegensatz zu seinem Vorgänger - nicht tolerieren wollte. Bertschi vermutet, dass wohl schon Kunstmanns Doktorarbeit, welche dieser in den 1930er Jahren verfasst hatte, aufgrund seiner Homosexualität nicht angenommen wurde. Kirche und Nazis hätten „zusammengearbeitet“, um dies zu verhindern. Während und vor allem gegen Ende des Zweiten Weltkrieges sei Kunstmann auch politisch aktiv gewesen, er hätte sich für die kampffreie Übergabe Deutschlands eingesetzt und bei den Franzosen und Amerikanern eine Vermittlerrolle übernommen. Auf die Frage nach der Vernetzung von Josef Kunstmann in Homosexuellen-Kreisen antwortet Bertschi, Kunstmann hätte ein grosses Beziehungsnetz gehabt. Er hätte mit vielen Künstlern in Kontakt gestanden, ebenso mit Leuten vom „Kreis“. In der Zeitschrift „Der Kreis“ seien mehrere Zeichnungen und Texte von Kunstmann erschienen, er hätte diese unter dem Pseudonym „Agathon“ veröffentlicht. Josef Kunstmann war für Hans-Peter Bertschi eine äusserst wichtige Bezugsperson. Die langjährige Freundschaft sei „geistige und spirituelle Nahrung“ für ihn gewesen, erzählt Bertschi. Ausserdem hätte ihm Kunstmann in punkto Homosexualität grosse psychische Unterstützung geboten. Nebst einer intensiven Brieffreundschaft kam es auch mehrmals jährlich zu persönlichen Treffen, diese wurden ab 1966 häufiger, da Kunstmann wieder in Augsburg lebte und arbeitete. Die Beziehung zu Kunstmann war aber nicht nur freundschaftlicher Natur, sie führten auch eine sexuelle Beziehung. Hans-Peter Bertschi erzählt, dass er sich eine Zeit lang überlegt habe, zum Katholizismus zu konvertieren. Ihm gefiel die katholische Liturgie, ausserdem wäre ihm das Zölibat entgegengekommen. In seinem Glauben falle man als Unverheirateter auf. |
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Archivbezug | schwulenarchiv schweiz |
Zitationsvorschlag | Tonaufnahme: Battel, Franco/F 1003-0004 |